Deutsche Redaktion

"Die Maske eines lächelnden Polens"

04.03.2024 13:06
Ein wichtiges Thema der heutigen Pressekommentare ist die politische Zukunft der Recht und Gerechtigkeit PiS und ihres Vorsitzenden Jarosław Kaczyński. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens die rhetorische 180-Grad-Wende von Kaczyński bei der Wahlveranstaltung  der PiS vor den Kommunalwahlen, die am Samstag stattgefunden hat. Und zweitens die Debatte rund um einen Artikel des nationalkonservativen Historikers Prof. Andrzej Nowak, der den 78-jährigen Kaczyński zu einem Verzicht auf den Vorsitz in der Partei aufgerufen hatte, um Platz für jüngere zu machen.
Konwencja samorządowa PiS z udziałem Jarosława Kaczyńskiego
Konwencja samorządowa PiS z udziałem Jarosława Kaczyńskiegotwitter/pisorgpl

Rzeczpospolita: Die Maske eines lächelnden Polens

Zuerst zur Wahlveranstaltung der PiS vom Samstag, die viele Kommentatoren ins Staunen versetzt hat. Die Veranstaltung habe den Eindruck erweckt, als ob sie die Folge eines Erdbebens innerhalb der Partei gewesen sei, schreibt der Publizist der Rzeczpospolita, Michał Szułdrzyński. Es habe geschienen, als ob PR-Berater Kaczyński gesagt hätten: “Wenn wir nicht alles ändern, dann ist es um uns geschehen. Statt der Wut und der Drohungen wollen die Polen Hoffnung, Freude und eine positive Botschaft.” Also sei Kaczyński eben mit einer solchen Botschaft an die Wähler getreten. – Wir sagen “JA”! Und Polen sollte”JA” sagen! Wir sagen “JA” zu Entwicklung, zu allem, was unsere gute Zukunft schafft, aber vor allem zu Investitionen, den kleinen, lokalen, aber auch den großen. “JA” zum Zentralen Kommunikationshafen (CPK), zur Atomkraft, zur Regulierung der Oder, zu Häfen – habe Kaczyński gesagt.

Doch mit dieser Botschaft, so Szułdrzyński, habe Kaczyński zugegeben, dass die ganze Strategie, die die PiS im vergangenen Jahr gewählt habe, ein katastrophaler Fehler gewesen sei. Vor dem Referendum, erinnert Szułdrzyński, habe die Recht und Gerechtigkeit eine Kampagne unter dem Motto “4 x nein” geführt. Wenn sie jetzt verkünde, dass sie für Bejahung stehe, versuche sie eine rhetorische 180-Grad-Wende. Kaczyński versuche heute so zu tun, als ob er Tusk sei. Aber es stelle sich ganz klar die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieses neuen Kurses. In den letzten acht Jahren hätten parteipolitische Kriterien über alles entschieden. Würden die Polen es Kaczyński so leicht abnehmen, dass er nun aufhören werde, mit Anschuldigungen um sich zu werfen? Oder die Kehrtwende eher als taktischen Versuch sehen, um die Partei vor einer weiteren Niederlage und der Desintegration zu retten, fragt Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: Guter Opa Kaczyński. Fällt jemand drauf rein?

Eigentlich könne man in der Kampagne alles versprechen, das sei man schon gewöhnt. Und dennoch hätten ihn die Worte von Kaczyński ins Staunen versetzt, schreibt Arkadiusz Gruszczyński in der linksliberalen Gazeta Wyborcza. Der PiS-Chef, so der Autor, habe viel von Zusammenarbeit, der Freiheit von Kommunen und Pluralismus gesprochen. Er, so Gruszczyński, hätte gerne die Gesichter des Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski und anderer Oberbürgermeister gesehen, die den Abfluss von Geldern aus den Haushalten der Kommunen und die Anschläge auf ihre Unabhängigkeit während der letzten 8 Jahre mit konkreten Zahlen belegt hätten. Allein im Falle von Warschau gehe es um 11 Milliarden Złoty, um die die Einkommen der Hauptstadt durch die Regierung PiS beschnitten worden seien. Städte, Städtchen und Dörfer hätten beträchtliche Summen durch die Steueränderungen verloren, die die Regierung Morawiecki eingeführt habe. Die Unterstützung für lokale Investitionen, mit der sich Kaczyński gebrüstet habe, sei vor allem in Gemeinden geflossen, in denen die PiS die Mehrheit gehabt habe. Und der Konflikt mit der EU habe die Mittel aus dem Nationalen Wiederaufbauplan blockiert, die vor allem eben in die Kommunen fließen sollten. 

Die Partei von Jarosław Kaczyński sei die letzte politische Kraft im Land, die zur Zusammenarbeit aufrufen könne. Kaczyński habe nach den Wahlen von der Diktatur Tusks und politischen Morden gesprochen und Sejmmarschall Szymon Hołownia einen Verbrecher genannt. Das Image der PiS lasse sich nicht ändern. Und der „Ja-Bus“, der nun durch Polen fahren soll, sei nur ein grotesker Versuch einer solchen Änderung, so Arkadiusz Gruszczyński in der Gazeta Wyborcza. 

Do Rzeczy: Das Problem der fehlenden Glaubwürdigkeit

Aber auch die nationalkonservative Wochenzeitung Do Rzeczy spekuliert auf ihrer Titelseite über die Notwendigkeit der politischen Rente für PiS-Chef Kaczyński. Ohne echte Veränderungen innerhalb der PiS scheine eine Rückkehr an die Macht unmöglich, urteilt im Leitartikel zur aktuellen Ausgabe der Chefredakteur des Blattes, Paweł Lisicki. Und das beinhalte eben auch die Diskussion über einen Führungswechsel, die Prof. Andrzej Nowak mit seinem Artikel angestoßen habe. Er verstehe die Bedenken derjenigen, die befürchten, dass eine offene, ehrliche Abrechnung mit den Fehlern der letzten Wahlkampagne zu heftigen Konflikten und Spaltungen führen könne. Aber gebe es wirklich einen anderen Weg? Wie sonst werde man die größte Schwäche der PiS als Opposition, also ihre fehlende Glaubwürdigkeit, überwinden können? 

Denn wie können PiS-Politiker nun auf glaubwürdige Weise feige und kapitulierende Aussagen von PO-Politikern gegenüber der Ukraine in Bezug auf das Wolhynien-Massaker kritisieren, wenn sie selbst nicht den Mut hatten, die polnische Perspektive zu verteidigen? Wie sollen sie Landwirte unterstützen, wenn sie selbst ihre Warnungen in Bezug auf ukrainisches Getreide ignoriert haben? Und wie können sie das Gesicht des Widerstands gegen den Grünen Deal und die zentralistische Politik der EU sein, wenn sie selbst eben diesen Deal unterzeichnet haben? Ohne Antworten auf diese Fragen glaube er nicht an eine Wiedergeburt der Partei, so Paweł Lisicki in Do Rzeczy. 

Dziennik/Gazeta Prawna: EU plant eigenes Rüstungsprogramm

Die EU plant ein eigenes Rüstungsprogramm, berichtet das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Der Plan, der die Bewaffnung Europas beschleunigen soll, lesen wir, werde voraussichtlich morgen angekündigt, es könnte um Investitionen in Höhe von 100 Milliarden Euro gehen. Unabhängig von diesen Schritten werden die Mitgliedstaaten versuchen, bis Ende März ihr Versprechen zu erfüllen, 1 Million Stück Munition an die Ukraine zu liefern. Gleichzeitig, so die Zeitung, finde auch eine polnische Personaloffensive statt. Wie das Blatt erfahren hat, umfassen die Erwartungen Polens unter anderem die Position des stellvertretenden NATO-Generalsekretärs oder eines seiner technischen Stellvertreter. Es werde auch über die wichtigsten Positionen im Allied Command Operations (SHAPE) gesprochen. Vize-Premierminister Kosiniak-Kamysz habe angekündigt, dass Polens Kandidat für den Vorsitz des Militärausschusses der Europäischen Union General Sławomir Wojciechowski sein wird, so Dziennik/Gazeta Prawna. 

Autor: Adam de Nisau