Deutsche Redaktion

Rzeczpospolita: Kampf gegen Putin auf zwei Fronten

21.03.2024 11:14
Bereits zum fünften Mal versammeln sich dieser Tage Vertreter der russischen Opposition in Warschau zu Beratungen zusammengekommen. Die Vertreter des Kongresses der Volksdeputierten nennen sich „Deputierte“ nennen, weil sie einst in Russland zu Deputierten der Duma, des Föderationsrates sowie der städtischen und regionalen Parlamente gewählt worden sind. Sind die Sitzungen der Versuch, eine Parallelwelt zu schaffen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat oder der einzige Weg, sich auf eine Zeit nach Putin vorzubereiten? Und: Russland will die EU-Wahlen als Versuchsfeld für alte und neue Techniken aus dem Katalog der Einflussoperationen nutzen. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Табло в Центризберкоме с результатами псевдовыборов президента РФfotoÑPAP/EPA/MAXIM SHIPENKOV

Eines der bekanntesten Hotels in Warschau habe sich am Mittwoch mit weiß-blau-weißen Flaggen gefüllt. Diese Farben habe die russische demokratische Opposition nach dem 24. Februar 2022 angenommen, um sich nicht mit den Symbolen des Putin-Staates und seiner Aggression gegen die Ukraine zu assoziieren, berichtet Rusłan Szoszyn in der Rzeczpospolita. Zum fünften Mal, so der Autor, seien Vertreter des Kongresses der Volksdeputierten in die polnische Hauptstadt gekommen. Es handle sich dabei um eine der Fraktionen der Anti-Putin-Bewegung, die die auf der Seite Kiews kämpfenden russischen Freiwilligenverbände unterstützt, einschließlich des Freiheitslegions Russlands. Die „Kongress“-Vertreter würden sich „Deputierte“ nennen, weil sie einst in Russland zu Deputierten der Duma, des Föderationsrates sowie der städtischen und regionalen Parlamente gewählt worden seien.

Das Treffen, berichtet der Autor, erinnere nicht an eine Konferenz oder eine lockere Diskussion der Gegner des Kremls. Dutzende „Deputierte“ mit Anstecknadeln auf ihrer Kleidung in weiß-blau-weißen Farben würden auf alle erdenklichen Weisen versuchen, sich so zu verhalten, als ob sie an echten Parlamentssitzungen teilnehmen würden. Sie seien überzeugt, dass sie „ein Parlament im Exil“ bilden und dass sie die Macht in Russland nach dem Sturz des Diktators übernehmen werden. Sie seien der Meinung, dass sie an erster Stelle in der Warteschlange zum Kreml stehen, weil sie einst von den Russen gewählt worden seien und insgesamt „Millionen von Stimmen“ gesammelt hätten. Beim Treffen in Warschau hätten sie eine Geschäftsordnung für die Sitzungen verabschiedet, einen Vorsitzenden gewählt, über Gesetze diskutiert, Änderungsanträge eingereicht und über deren Annahme oder Ablehnung abgestimmt.

Bereits bei den vier vorherigen Sitzungen in Polen, erinnert Szoszyn, hätten sie vereinbart, dass sie, sobald sie die Macht in ihrem Land übernehmen, der Ukraine die besetzten Gebiete einschließlich der Krim zurückgeben und anderen Völkern, die in Russland leben, „die Entscheidung über ihre Zukunft“ ermöglichen werden. Bis Samstag werden sie nun unter anderem über die Zukunft des Justizwesens, die Reform der uniformierten Dienste, die Rentenreform und die De-Oligarchisierung Russlands debattieren.

Sei all dies nicht der Versuch, eine parallele, virtuelle Realität zu schaffen, die nichts mit der Situation im Russland Wladimir Putins zu tun habe? „Nur derjenige, der geht, wird den Weg bewältigen. Wir bilden ein Parlament, das Gesetze für das zukünftige Russland vorbereitet und wir tun dies auf demokratische Weise. Wir haben einen bewaffneten Flügel, der gegen Putin an der Front kämpft und Fortschritte macht (es geht um die jüngsten Kämpfe in den russischen Regionen Kursk und Belgorod – Anm. d. Red.). Das ist kein schneller Prozess“, sagt Ilia Ponomariow, ehemaliger Duma-Deputierter, der als einziger gegen die Annexion der Krim stimmte und in die Ukraine umgezogen ist, der „Rzeczpospolita“. Er kündigt an, dass der „Kongress“ darum kämpfen wird, von den Parlamenten der westlichen Staaten anerkannt zu werden und die Eröffnung seiner „Botschaften“ unter anderem in Kiew, Washington, Warschau, Kanada und Berlin vorbereitet. „Der erste Schritt gehört der Ukraine, wir führen fortgeschrittene Gespräche. Putins Wahlen werden nicht anerkannt, und seine Amtszeit endet offiziell Anfang Mai. Wir werden fordern, dass er nicht als Präsident anerkannt wird“, erklärt er.

Die Teilnehmer des Kongresses würden von der Regierungskoalition mit Wohlwollen betrachtet. „Die parlamentarische Mehrheit steht der russischen Opposition positiv gegenüber. Welche Methoden sie in ihrem Kampf wählt, bleibt ihre Angelegenheit. Es wäre schwer, jene Russen schlecht zu beurteilen, die heute auf der Seite der Ukraine kämpfen. Sie sind Helden, und so werden sie auch von der ukrainischen Seite bewertet“, sagt Vize-Senatsmarschall Michał Kamiński der „Rzeczpospolita“, der bereits bei der ersten Sitzung des Kongresses anwesend war. Auch die polnische Reporterin und Schriftstellerin  Krystyna Kurczab-Redlich, die fast 15 Jahre in Moskau gelebt und drei Bücher über Russland geschrieben habe, habe an der Sitzung teilgenommen. Sie glaube, dass Putin innerhalb der nächsten zwei Jahre gestürzt werden könnte. „Die russische Opposition entsteht gerade erst. Sie muss sich vereinen und stärken. Alles wird davon abhängen, ob die außerhalb Russlands befindliche Opposition angemessene Unterstützung von den Staaten erhält, in denen sie sich befindet“, sagt Kurczab-Redlich der „Rzeczpospolita“.

Gazeta Wyborcza: Kreml mit Appetit auf Europa

Russland will vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni die Spaltungen auf dem Kontinent vertiefen. Im Paket: Alte und neue Tricks aus dem Katalog der Einflussoperationen, warnt in ihrem Aufmacher die linksliberale Gazeta Wyborcza. Es, so das Blatt, sei schon lange bekannt, dass Russland Abgeordnete des Europäischen Parlaments als Einflussagenten rekrutiert, die extreme Rechte finanziert, unzählige Desinformationskampagnen organisiert und Einfluss auf Anti-LGBT-Bewegungen, das akademische Umfeld und die Zivilgesellschaft nimmt. Bereits im Februar habe das Europäische Parlament (EP) gewarnt, dass Russland versucht, in ganz Europa Spaltungen zu säen: „Die Abgeordneten des EP sind empört über die Tatsache, dass Russland Wege gefunden hat, um erhebliche Finanzierung für politische Parteien, Politiker, Beamte und Bewegungen in mehreren demokratischen Ländern zu gewährleisten, um in deren demokratische Prozesse einzugreifen und diese zu beeinflussen.“

Die Befürchtungen über Eingriffe in die Abstimmung 2024 würden nicht nur Politiker teilen. „Russland wird die Europawahlen als eine Art Versuchsfeld nutzen, um zu sehen, wie seine Strategien und Taktiken bei Wahlen im Allgemeinen funktionieren“, sagt Anton Schechowzow, ein ukrainischer Politikwissenschaftler aus Wien, der die Verbindungen der extremen Rechten in Europa mit Russland untersucht. „Ihr Hauptziel wird es sein, die politische und soziale Unterstützung für die Ukraine so weit wie möglich zu schwächen. Wahrscheinlich werden sie Einschüchterungstaktiken verwenden, indem sie die These verbreiten, dass Menschen oder Politiker, die der Ukraine helfen, die Gesellschaften in einen Krieg mit Russland ziehen“, meint Schechowzow.

Laut dem Forscher sind Deutschland, ebenso wie andere EU-Mächte – Frankreich und Italien – heute das Hauptziel russischer hybrider Angriffe. „Sie sind die wirtschaftliche Antriebskraft der gesamten Union“, sagt Schechowzow. „Politisch sind es die Länder mit der stärksten Stimme in der Union.“

Im Januar habe die russische investigative Website Insider der lettischen Europaabgeordneten Tatjana Ždanoka vorgeworfen, dass sie jahrelang für den FSB gearbeitet habe. Das Europäische Parlament betont, dass mehrere namentlich nicht genannte Abgeordnete des EP „bewusst den Interessen Russlands gedient haben“. Analysten warnen, dass die Wahlen den Sieg von Politikern bedeuten könnten, die die Unterstützung für die Ukraine nicht befürworten oder sogar prorussisch sind.

Wenn Parteien wie die AfD oder die niederländische Freiheitspartei PVV (auch sie steht unter Verdacht, Verbindungen zu Russland zu haben) im Juni Erfolg haben, könnten sie die Debatten vor den nationalen Wahlen beeinflussen und „potenziell den Diskurs vom Unterstützen der Ukraine abwenden“, bewertete kürzlich der German Marshall Fund, eine teilweise von der EU finanzierte amerikanische Denkfabrik.

Autor: Adam de Nisau