Deutsche Redaktion

"Anschlag bei Moskau eröffnet entscheidende Phase des Krieges"

25.03.2024 14:02
Öffnet der Anschlag bei Moskau ein neues Kapitel im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine? Wird Moskau nun gezwungen sein, an zwei Fronten zu kämpfen? Und: Müssen sich die Polen an russische Raketen über dem eigenen Staatsgebiet gewöhnen? Die Einzelheiten zu diesen Themen in der Presseschau. 
Zełenski o zamachu w Rosji: Putin zawsze stara się zrzucić winę na innych
Zełenski o zamachu w Rosji: Putin zawsze stara się zrzucić winę na innychShutterstock/Asatur Yesayants

Rzeczpospolita: Anschlag bei Moskau eröffnet entscheidende Phase des Krieges

Es wäre schwierig, einen besseren Vorwand für den Kreml zu finden, um eine weitere große Mobilisierung zum Kampf gegen den „Feind" anzukündigen, schreibt dazu Rusłan Szoszyn in der Rzeczpospolita. Die Anhänger von Wladimir Putin, so der Autor, würden sich jetzt noch stärker vereinigen. 

So sei es nach den Anschlägen auf Wohnhäuser in Russland 1999 gewesen. Damals seien mehr als 300 Menschen getötet worden. Oder nach dem Anschlag auf das Moskauer Dubrowka-Theater im Jahr 2002, der 173 Menschen das Leben gekostet habe. Bei dem Terroranschlag auf eine Schule in Beslan seien 334 Menschen ums Leben gekommen. Die Hälfte davon seien Kinder gewesen, erinnert der Autor. Dies seien nur die bekanntesten Anschläge. In den letzten Jahren habe es in Russland viele weitere gegeben. Unabhängig davon, wer die Terroranschläge verübt habe und mit welcher Absicht, die einfachen Russen hätten solche Tragödien stets geeint. Und der Kreml habe daraufhin immer den Kampf gegen äußere und innere Feinde verschärft.

Doch dieses Mal sei die Situation anders, glaubt Schoszyn, viel bedrohlicher. Denn seit mehr als zwei Jahren führe Moskau einen regulären Krieg. Der Kreml werde versuchen, die Ukraine und den kollektiven Westen für den Angriff verantwortlich zu machen. Dies könnte den Beginn eines neuen Kapitels im Krieg markieren.

Noch vor dem Anschlag, erinnert der Autor, habe der russische Verteidigungsminister, Sergej Schoigu, angekündigt, zwei neue Armeen, 14 neue Divisionen und 16 Brigaden aufzustellen. Selbst russische Experten hätten dafür mit einem Bedarf für 200.000 frische Soldaten gerechnet. Einige würden diese Zahl doppelt so hoch schätzen. Nach dem Anschlag werde die Mobilisierung sicherlich einfacher sein, so Szoszyn.

Wer auch immer hinter dem Anschlag in Moskau stehe, er wünsche unserem Teil der Welt sicher kein schnelles Ende des Krieges, fährt der Autor fort. Der Anblick von ermordeten Zivilisten in einem Konzertsaal werde das Regime des russischen Diktators nicht schwächen. Ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich werde Putin in naher Zukunft sogar nach Krasnogorsk fahren und den Russen zeigen, worum es in diesem Krieg wirklich gehe. Nach den Anschlägen auf Wohnhäuser in Russland 1999 habe der zweite Tschetschenienkrieg begonnen. Diesmal werde es nicht anders sein. Eskalation, Mobilisierung, Raketenangriffe und vielleicht eine weitere Großoffensive in der Ukraine - das sei es, was uns erwarte, so Rusłan Szoszyn in der Rzeczpospolita. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Russland droht eine wachsende innere Instabilität und muslimische Wut

Die von den Russen ersehnte „multipolare Welt" sei ihnen gerade ins Gesicht explodiert. Der Angriff in Krasnogorsk zeige, dass sie jetzt wahrscheinlich an mehr als einer Front kämpfen müssen, schreibt indes der Politologe und Sicherheitsexperte Witold Sokała in Dziennik/Gazeta Prawna.

Inzwischen, so der Experte, sei fast völlig klar, dass der Anschlag bei Moskau direkt von ISIS-Terroristen verübt wurde. Der Kreml hingegen bemühe sich sehr, die Schuld der Ukraine und Amerika zuzuschieben. Damit wolle das russische Regime aus dem Massaker einige Vorteile ziehen. Auch laut Sokała gehöre dazu, eine größere Akzeptanz der Bevölkerung für eine weitere Mobilisierung oder die Bereitschaft vom bisherigen Lebensstandard Abschied zu nehmen.

Gleichzeitig wachse aber auch die Frustration der in Russland lebenden Muslime. Zu den alten Ungerechtigkeiten würden neue hinzukommen. Vor allem muslimische ethnisch-religiöse Minderheiten würden nämlich an vorderster Front ausbluten. Dies schaffe einen fruchtbaren Boden für internationale fundamentalistische Bewegungen, lesen wir. Die Mehrheit der in Russland lebenden Anhänger des Propheten nehme Putin seine antiwestliche Propaganda ab. Sie bleibe dem Kreml gegenüber loyal. Es werde aber immer einfacher, in dieser Menge einzelne Personen mit anderen Einstellungen zu finden, ihnen eine Bombe oder ein Gewehr in die Hand zu drücken, schreibt der Politologe.

Die Motivation dazu sei in Russland in letzter Zeit sehr groß. Im Nahen Osten schließe der Kreml nämlich Allianzen mit dem schiitischen Iran, den afghanischen Taliban und dem syrischen Assad-Regime. Dies stelle eindeutig eine Bedrohung für die fundamentalen Interessen von ISIS dar. Russlands Aktionen hätten laut dem Autor also eine Reaktion des sogenannten Islamischen Staates ausgelöst. Die Folge werde eine Spirale des Misstrauens und der Feindseligkeit zwischen ethnischen Russen und ihren muslimischen Mitbürgern sein, lesen wir.

Ein praktischer Rassismus sei im russischen Staat bereits weit verbreitet, so der Autor. Die systematische Unterdrückung durch die Polizei werde dies noch verstärken. 

Die multipolare Welt sollte in der russischen Version so aussehen, dass ein Pol (der westliche) schwächer wird und die anderen in Solidarität gegen ihn spielen. Die Überraschung für Putin bestehe darin, dass die anderen Pole - trotz ihrer natürlichen Feindseligkeit gegenüber den USA und den verschiedenen Verbündeten Washingtons - ihre eigenen Interessen haben, die von denen Russlands abweichen, und nicht zögern, diese zu verfolgen, auch mit Gewalt. Im rusnet würden sich bereits Kommentare über einen "Dolchstoß in den Rücken" finden. Nun, sie erfreuen das Auge des westlichen Lesers, das lässt sich nicht leugnen. Aber wir müssen bedenken, dass diese Freude ihre Grenzen hat - denn der "Feind unseres Feindes" wird nicht automatisch zu unserem Freund, so Witold Sokała in Dziennik/Gazeta Prawna.

Rzeczpospolita: Russische Rakete über Polen. Zeit, sich an die neue Realität zu gewöhnen"

Wieder einmal ist eine russische Rakete in den polnischen Luftraum eingedrungen. Es sei an der Zeit, sich mit der Tatsache abzufinden, dass Polen zu einem Frontland in einer völlig neuen geopolitischen Realität geworden sei. Damit werde sich Polen möglicherweise in den nächsten Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, auseinandersetzen müssen, schreibt Artur Bartkiewicz ebenfalls in der Rzeczpospolita.

Zumal die Russen in der Nähe der Grenze Polens mit Marschflugkörpern angreifen, seien solche Zwischenfälle mehr als wahrscheinlich. Dies, so der Autor, sei die neue Realität für Polen. Der größte bewaffnete Konflikt in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs finde nämlich direkt hinter seiner Grenze statt.

Den Krieg hätten Polen bereits auf tragische Weise erlebt, fährt der Autor fort und erinnert an eine verirrte Rakete, die vor 1,5 Jahren in der Ortschaft Przewodów einschlug und zwei Personen tötete. Eine weitere russische Rakete sei mehrere hundert Kilometer über Polen geflogen und in einem Wald bei Bydgoszcz eingeschlagen. Auch als das GPS-Signal des Flugzeugs des britischen Verteidigungsministers auf dem Rückweg aus Polen nach Großbritannien von den Russen von Königsberg aus gestört wurde. Polen müssten sich mit der Tatsache abfinden, dass der Krieg direkt vor ihrer Haustür stattfinde und sie Teil der Konfrontation zwischen dem Westen und Russland seien.

Heute, lesen wir weiter, deute alles darauf hin, dass Polen bestenfalls ein langer kalter Krieg mit Russland bevorstehe. Der neue Eiserne Vorhang verlaufe über Polens Grenze zum Königsberger Gebiet und zu Belarus. Mit dem Schreckgespenst eines Krieges werden Polen noch jahrelang leben müssen. Alles wegen des russischen Imperialismus und der Ambitionen Moskaus, die Sicherheitsarchitektur des alten Kontinents umzugestalten. Die Friedenszeit, die wir 30 Jahre lang genossen hätten, sei vorbei.

Heute sollte man sich daher nicht fragen, warum Polen feindliche Raketen über seinem Territorium nicht abschieße. Man sollte fragen, was getan werden sollte, um sicherzustellen, dass sich das Ziel einer solchen Rakete weder heute noch morgen noch jemals in Polen befinde, so Artur Bartkiewicz in der Rzeczpospolita.

Autor: Piotr Siemiński