Deutsche Redaktion

Nach Luftraumverletzung: Russische Desinformationswelle, “Operation Schaschlik” und die Rolle von Peking

11.09.2025 13:58
Russische Drohnen über Polen haben nicht nur militärische Alarmsirenen ausgelöst, sondern offenbar auch eine weitere massive Desinformationskampagne entfesselt. Außerdem: Wird das „Grillen" der NATO-Ostflanke zur Norm? Kann wirtschaftlicher Druck auf China den Krieg beenden? Und: Wird der Westen seine Ohnmacht überwinden? Mehr dazu in der Presseschau.
Territorialverteidigungstruppen am Ort des Absturzes einer russischen Drohne in Wohyń, 10. dieses Monats. In der Nacht von gestern auf heute kam es zu einer Verletzung des polnischen Luftraums durch eine groe Anzahl russischer unbemannter Luftfahrzeuge. Die erste Verletzung erfolgte um 23:30 Uhr, die letzte am Morgen gegen 6:30 Uhr. Diejenigen, di
Territorialverteidigungstruppen am Ort des Absturzes einer russischen Drohne in Wohyń, 10. dieses Monats. In der Nacht von gestern auf heute kam es zu einer Verletzung des polnischen Luftraums durch eine große Anzahl russischer unbemannter Luftfahrzeuge. Die erste Verletzung erfolgte um 23:30 Uhr, die letzte am Morgen gegen 6:30 Uhr. Diejenigen, diPAP/Wojtek Jargiło

RZECZPOSPOLITA: Drohnenangriff löst Desinformationswelle aus

Kaum sind die russischen Drohnen auf polnischem Territorium niedergegangen, habe eine massive Welle von Fake News das Netz überflutet, schreibt die konservativ-liberale Rzeczpospolita. „Moskau weiß genau, dass die zum Säen falscher Informationen eingespannten Bots gefährlicher sein können als Raketen", warnt der Publizist Michał Duszczyk.

Die von der Firma SentiOne erhobenen Daten, lesen wir, seien erschütternd: Innerhalb weniger Stunden seien etwa 180.000 Erwähnungen des Vorfalls aufgetaucht, stark emotional aufgeladen mit Angst, Wut, Ungläubigkeit, aber auch Verachtung. Und die russischen Bots hätten ihre Aufgabe “mustergültig erfüllt”. Die Sättigung mit dem Narrativ, es handle sich um eine Provokation der Ukraine, habe 38 Prozent erreicht und liege damit höher als die Überzeugung, dass Russland dahinterstecke (34 Prozent).

Die These, dass die polnische Regierung unfähig sei, so der Autor weiter, erreiche 18 Prozent Sättigung, während 12 Prozent von Medienmanipulation sprächen. Nur 28 Prozent der Kommentare würden in dem Vorfall einen Test Russlands gegenüber der NATO sehen, und 10 Prozent würden die Meinung vertreten, die NATO werde Polen nicht verteidigen. Das Ministerium für Digitalisierung habe bereits in einer Sondersitzung das Gemeinsame Zentrum für Cyber-Sicherheitsoperationen einberufen, so Rzeczpospolita.

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Operation „Schaschlik" – Putins perfide Strategie

Das „Grillen" der östlichen NATO-Flanke mit etwas, „was weder Krieg noch Frieden ist" werde in der russischen Nomenklatur “Operation Schaschlik” genannt, schreibt in seinem Kommentar für das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna der Publizist Zbigniew Parafianowicz. Wie der Autor erinnert, habe Russland in den letzten Tagen nicht nur Drohnen in den polnischen Luftraum gesendet. Gestern Nachmittag seien Orlen-Zisternen in Litauen angezündet worden. Vergangene Woche habe Belarus eine Spionageaffäre rund um einen polnischen Geistlichen in Belarus fabriziert. All dies würde in dieses Konzept passen.

„Russland geht es heute nicht darum, einen Krieg im traditionellen Sinne auszulösen. Es geht um Konfusion. Die Verlegenheit eines Staates, der nicht weiß, womit er es eigentlich zu tun hat", schreibt Parafianowicz. Wenn man dazu die Manöver „Zapad" hinzufüge, bei denen russisch-belarussische Kräfte die Besetzung der Suwalki-Lücke übten, habe man „das vollständige Bild des von Wladimir Putin generierten Theaters".

Die Operation, so der Publizist, verfolge mehrere Ziele gleichzeitig: Sie soll Unruhe in die Bevölkerung einführen, militärische Prozeduren des angegriffenen Staates testen und die Einheit der NATO prüfen. „In der Maximalversion vertieft sie die politische Polarisierung unter den Eliten, die sich gleich mit der Abrechnung beschäftigen werden, wer versagt hat, und nach Schuldigen suchen", warnt der Autor.

Die „Operation Schaschlik", so Parafianowicz, werde „leider höchstwahrscheinlich zur Norm werden". Mit der Schwächung des Westens, dem Mangel an eindeutiger Führung der Vereinigten Staaten und der Stärkung der Allianz zwischen China, Russland und Nordkorea werde die östliche NATO-Flanke weiteren Proben unterzogen werden – „sowohl in der Luft, zu Lande als auch zur See".

Um diese Probe zu bestehen, müsse man sich unbequeme Fragen zur polnischen Verteidigungsfähigkeit stellen, mahnt der Autor. Es lohne sich etwa, die Frage zu beantworten, warum es uns im vierten Jahr des Krieges in der Ukraine nicht gelungen sei, eine Fabrik für 155-mm-Munition zu bauen. Und ob das nicht ein Beweis unserer Schwäche sei, der Russland ermutige, unsere Grenzen zu testen.

Weitere kritische Punkte: Warum gebe es immer noch keinen Automatismus für die Reaktion auf eindringende Drohnen? Warum könnten polnische Spezialeinheiten – „also auf die Neutralisierung von Sabotage spezialisierte Einheiten" – nicht im Inland bei Bedrohungen unterhalb der Kriegsschwelle eingesetzt werden? „Russland hat sich höchstwahrscheinlich nur diese drei Fragen gestellt. Und musste zu dem Schluss kommen, dass es sich lohnt, Polen zu prüfen", so Parafianowicz.

Der Autor fordert konkrete Schritte von den USA: Aussetzung der Spekulationen über den Abzug amerikanischer Truppen von der östlichen NATO-Flanke, keine Signale nach Moskau durch Kürzungen von Militärprogrammen für die baltischen Staaten (was in den letzten Tagen geschehen sei), und vor allem – die Rückkehr zur Diskussion über die Stationierung amerikanischer Atomwaffen in Polen.

„Die Russen haben die Infrastruktur zur Lagerung ihrer Sprengköpfe in Belarus gebaut. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sie dort bereits lagern. Das Fehlen eines symmetrischen Schritts seitens der USA haben sie als Schwäche aufgefasst. Dessen Effekt ist der Versuch, Polen zu grillen", analysiert Parafianowicz. Wenn Donald Trump wirklich daran denke, Putins Ambitionen zu stoppen und seine Worte im Weißen Haus in Anwesenheit von Präsident Karol Nawrocki ernst meine, sollte er hier amerikanische Nuklearsprengköpfe im Rahmen des Nuclear-Sharing-Programms stationieren. „Russland wird nur durch Stärke abgeschreckt. Schwäche wird zum Vorzimmer des Krieges. Dann des realen", warnt Zbigniew Parafianowicz in Dziennik/Gazeta Prawna.

RZECZPOSPOLITA: Der Schlüssel liegt in Peking

Nach dem Angriff russischer Drohnen muss der Westen eine gemeinsame Front bewahren und vor allem die Behörden in Peking zu einer Änderung ihrer Haltung gegenüber Wladimir Putins Krieg zwingen. „Der Schlüssel zur Beendigung des Krieges in der Ukraine liegt in China", betont Rusłan Szoszyn in seinem Kommentar für die Rzeczpospolita.

Szoszyn zitiert das alte chinesische Sprichwort vom auf dem Baum sitzenden Affen, der den Kampf der Tiger beobachtet. „China profitiert vom Krieg in der Ukraine, weil dieser Russland in totale Abhängigkeit vom Reich der Mitte treibt, den Westen (wirtschaftlich und militärisch) schwächt und die Aufmerksamkeit der NATO vom Indo-Pazifik ablenkt", so der Autor.

Wie könne man China dazu bringen, sich im vierten Kriegsjahr endlich aktiv in den Friedensprozess einzuschalten? Polen habe bereits den ersten Schritt getan, indem es die Grenze zu Belarus schließe (die Entscheidung trete von Donnerstag auf Freitag in Kraft) und damit den Transit chinesischer Waren nach Europa blockiere. „Peking wäre sicherlich nicht in der Lage, amerikanische und europäische 100-Prozent-Zölle zu ignorieren", argumentiert Szoszyn. Andernfalls hätten die Chinesen längst die westlichen Sanktionen gegen das russische Bankensystem ignoriert. „Bis heute akzeptieren chinesische Banken keine russischen Zahlungskarten aus Angst vor Sekundärsanktionen." Der wirtschaftliche Druck auf China könnte somit der Hebel sein, um Moskaus Kriegsmaschinerie zu stoppen, so Rusłan Szoszyn in der Rzeczpospolita.

GAZETA WYBORCZA: Die NATO darf nicht zurückweichen

Die NATO müsse diesmal entschiedener reagieren als bisher, schreibt Bartosz Wieliński in der linksliberalen Gazeta Wyborcza. Wenn Putin hart gespielt habe, habe er bisher immer gewonnen. Er habe die Krim und Teile des Donbass besetzt, sich in Wahlen in den USA und Europa eingemischt, den Nahen Osten destabilisiert. „Der Westen wich immer zurück", so der Autor.

Prezydent Karol Nawrocki w bazie Krzesinach. "Wysyłamy sygnał do Putina: Polska nie przestraszy się rosyjskich dronów" #Wyborcza poznan.wyborcza.pl/poznan/7,360...

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— Gazeta Wyborcza (@wyborcza.pl) September 11, 2025 at 11:42 AM

Hätten die Ukrainer 2022 Putins Truppen nicht vor Kiew gestoppt, hätte der Westen sich wieder zurückgezogen. „Wolodymyr Selenskyj würde die Ukraine als Präsident im Exil aus Warschau regieren." Deshalb dürfe die NATO nach dem Eindringen russischer Drohnen nach Polen und während der Manöver „Zapad" diesmal nicht zurückweichen. „Die Demonstration von Stärke und Einheit des Bündnisses an den russischen Grenzen muss mächtig und langfristig sein. Die europäischen NATO-Länder sind dazu in der Lage, sogar ohne Unterstützung der USA", betont Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza.


Autor: Adam de Nisau


US-General Hodges: Verletzung des polnischen Luftraums war gezielte russische Provokation

11.09.2025 06:49
Der frühere Oberkommandierende der US-Landstreitkräfte in Europa, Ben Hodges, sieht in den jüngsten Verletzungen des polnischen Luftraums durch russische Drohnen eine bewusste Provokation Moskaus. „Natürlich war das kein Unfall. Das war ein Test seitens der Russen“, sagte Hodges im Gespräch mit dem Nachrichtenportal Wirtualna Polska. Die Reaktion Polens und der Nato bezeichnete er als unzureichend. „So sieht ein gescheiterter Versuch der Abschreckung aus“, betonte der US-General.

Tusk warnt vor Verbreitung russischer Propaganda

11.09.2025 09:25
Nach massiven Drohnenangriffen Russlands auf die Ukraine ist der polnische Luftraum in der Nacht zum Mittwoch mehrfach verletzt worden. Polnische und alliierte Radarsysteme registrierten mehr als ein Dutzend Objekte, von denen einige neutralisiert wurden, wie die Regierung in Warschau mitteilte. Bisher seien Wrackteile von 16 Drohnen gefunden worden.

Polen beantragt Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats

11.09.2025 09:42
Nach mehrfachen Verletzungen des polnischen Luftraums durch russische Drohnen hat Polen eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats beantragt. Das Außenministerium in Warschau teilte am Donnerstag auf der Plattform X mit, dass das Treffen kurzfristig einberufen werde.

US-Medien: Russische Drohnenangriffe auf Polen als Test für NATO und Schwäche Trumps

11.09.2025 10:44
Der russische Drohnenangriff auf Polen in der Nacht zum Mittwoch wird in den USA als Zeichen für die Ausnutzung politischer Schwächen und als Belastungsprobe für die Einheit der NATO bewertet. Mehrere große US-Medien warnten, dass ein Signal der Schwäche zu weiterer Aggression ermutige.

Sikorski: Russland hat Provokation begangen – Polen muss auf jeder Eskalationsstufe reagieren können

11.09.2025 11:03
Der russische Drohnenangriff auf Polen in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch bezeichnete Vizepremier und Außenminister Radosław Sikorski am Donnerstag als bewusste Provokation. „Der 10. September ist ein Tag, an dem Russland eine Provokation begangen hat“, sagte Sikorski im Radioprogramm RMF 24. „Nach unserer Einschätzung war es eine bewusste Provokation, und wir müssen in der Lage sein, Russland auf jeder Stufe der Eskalationsleiter zu antworten. Auf jede russische Provokation muss eine angemessene Reaktion erfolgen.“

Nawrocki: Polen wird sich nicht vor russischen Drohnen fürchten

11.09.2025 11:50
„Ich möchte Polen und Europa in eine Zukunft ohne Krieg führen. Doch um das zu erreichen, müssen wir jeden Tag auf den Krieg vorbereitet sein“, sagte Nawrocki am Donnerstag vor Piloten und Soldaten der 31. Taktischen Luftwaffenbasis in Poznań-Krzesiny.