Deutsche Redaktion

Empörung nach Interview zum Ukraine-Krieg: “Merkel hat Blut an den Händen”

06.10.2025 12:33
Die Andeutungen der ehemaligen Kanzlerin, die eine Mitschuld Polens am Ausbruch des Kriegs in der Ukraine suggerierte, haben eine Lawine von Kommentaren im polnischen Internet ausgelöst. Sicherheitsexperte Szeligowski warnt davor, sich nur auf das Szenario russischer Truppen an der Weichsel zu fokussieren. Und: Ukrainischer Ex-Geheimdienstoffizier verteidigt Nord-Stream-Sabotage und erhebt schwere Vorwürfe gegen deutsche Ermittler.
Była kanclerz Niemiec Angela Merkel
Była kanclerz Niemiec Angela MerkelODD ANDERSEN/AFP/East News

DO RZECZY: “Merkel hat Blut an den Händen” - Empörung über Interview der Ex-Bundeskanzlerin zum Ukrainekrieg

Das nationalkonservative Wochenmagazin Do Rzeczy berichtet auf seiner Internetseite über einen Sturm der Entrüstung, den Äußerungen der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Polen ausgelöst hätten. In einem Interview für einen ungarischen YouTube-Kanal habe die Ex-Regierungschefin erklärt, sie habe 2021 versucht, den Dialog mit Russland wieder aufzunehmen. Dem seien jedoch Polen und die baltischen Staaten im Weg gestanden, die eine Verständigung zwischen der EU und Moskau verhindert hätten. Merkels Äußerung scheine zu suggerieren, dass Warschau auf diese Weise mitverantwortlich für den Kriegsausbruch in der Ukraine sei.

Die Andeutungen der ehemaligen Kanzlerin hätten eine Lawine von Kommentaren im polnischen Internet ausgelöst, berichtet das Blatt. „Angela Merkel hat mit ihrem hirnlosen Interview bewiesen, dass sie zu den Europa am meisten schadenden deutschen Politikern des letzten Jahrhunderts gehört", habe der frühere Premier Mateusz Morawiecki geurteilt.

Der PiS-Abgeordnete Mariusz Kamiński habe geschrieben: „Skandalöse Äußerung Angela Merkels. Die langjährige Mentorin und Karriere-Förderin Tusks ist der Ansicht, dass Polen und die baltischen Staaten zum Krieg Russlands gegen die Ukraine beigetragen haben. Herr Tusk, werden Sie dafür Merkel auch die Hände küssen?"



Der PiS-Abgeordnete Mariusz Błaszczak habe formuliert: „Die Stifterin des Putin-Regimes beschuldigt Polen, mitschuldig am russischen Angriff auf die Ukraine zu sein. Eine so hirnlose, dumme und schädliche Äußerung aus dem Mund Angela Merkels hat es noch nicht gegeben. Wird Donald Tusk es wagen, seine politische Förderin zu verurteilen?"

„Ohne Angela Merkels Engagement, ohne die Fertigstellung von Nord Stream 1 und die hartnäckige Fortsetzung von Nord Stream 2, gäbe es keinen Krieg in der Ukraine. Ohne Angela Merkel gäbe es keinen Krieg in der Ukraine”, betonte der PiS-Europaabgeordnete im Gespräch mit RMF FM. „Angela Merkel hat Blut an den Händen und sollte schweigen“, fügte Adam Bielan hinzu.

Und die ebenfalls nationalkonservative niezalezna.pl wirft Premierminister Tusk vor, noch nicht auf die Aussagen Merkels reagiert zu haben. 

GAZETA.PL: „Russland will Polen als Pufferzone"

Das liberale Nachrichtenportal Gazeta.pl veröffentlicht ein ausführliches Interview mit Daniel Szeligowski, dem Leiter des Programms Osteuropa am Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten (PISM). Der Experte analysiert darin die strategischen Ziele Russlands gegenüber Polen und skizziert verschiedene Szenarien für die Zukunft der Region.

„In der Ukraine wird ein Krieg um die Sicherheitsarchitektur in Europa geführt, um die Zukunft unserer Region", betont Szeligowski. Selbst wenn Polen die Ukraine-Hilfe einstelle, sei dies kein Ausgangspunkt für einen Reset mit Russland. Entscheidend sei, „dass zwischen uns und Moskau ein souveräner, starker ukrainischer Staat existiert, der Moskau auf Distanz hält".

Szeligowski warnt davor, sich nur auf das Szenario russischer Truppen an der Weichsel zu fokussieren. Polen könne zu einem „nominal unabhängigen Land mit begrenzter Souveränität" werden – einer grauen Zone. Dies bedeute nicht zwangsläufig russische Truppen in Warschau oder Besatzung. Aus erbeuteten russischen Geheimdienstdokumenten gehe hervor, dass Russland selbst bei der Ukraine-Invasion nicht die physische Kontrolle über das ganze Land, sondern die Unterordnung des Staates und politische Kontrolle angestrebt habe.

„Wir müssen andere Varianten erkennen, um nicht überrascht zu werden. Und die Variante unter dem Titel ‚Frosch kochen' – dass wir die polnische Gesellschaft daran gewöhnen, dass hier eine Drohne abstürzt, dort eine Drohne abstürzt – ist durchaus im Spiel", warnt der Analyst.

Die Drohnen-Provokationen haben, laut dem Experten, zwei Ziele: Erstens, die polnische Gesellschaft einzuschüchtern. Zweitens, Trump zu demonstrieren, dass der Konflikt eskalieren könne. Putin wolle Trump klarmachen: „Du musst die Ukraine stark unter Druck setzen, damit sie nachgibt und sich mit uns einigt."

Szeligowski betont, dass man ohne Sicherheitsschirm sofort wirtschaftliche Folgen spüren werde. Es brauche kein Kriegsszenario – Russland müsse keine 50 oder 100 Drohnen schicken, es reichten ein oder zwei pro Woche. „Wir würden den Luftraum über Lublin, Warschau, Rzeszów schließen, ausländische Investitionen würden sich zurückziehen, weil Investoren nicht ankommen könnten, Geschäfte würden sich zurückziehen, weil eine Bedrohung entsteht", erklärt der Experte. Man brauche keine Kontrolle über Polen, um daraus eine graue Zone zu machen – es reiche, das Kapital aus dem Land zu vertreiben.

Ob ein russischer Drohnenangriff automatisch zum NATO-Krieg führe? Szeligowskis nüchterne Antwort: „Krieg ist dann, wenn wir entscheiden, dass Krieg ist." Jedes Land werde für sich entscheiden. Selbst Artikel 5 besage, dass man Maßnahmen ergreife, die man für angemessen halte.

Seine Warnung: „Niemand verteidigt einen Verbündeten, der sich nicht selbst verteidigt. Niemand wird für Polen kämpfen, wenn Polen den Kampf nicht aufnimmt." Die Russen wüssten, dass es keinen Automatismus des Artikels 5 gebe. Polen müsse daher auch „Instrumente für eine einseitige Antwort entwickeln", denn die NATO-Mitgliedschaft habe viele Vorteile. Sie bedeute allerdings auch, dass „eine Hand hinten gefesselt ist".

Als schlechtestes Szenario nennt Szeligowski eine “weiche Kapitulation” - eine Situation, in der die Front bricht und der Westen nicht ausreichend hilft. Die Folge: „Wir haben keinen Puffer mehr, sondern es entsteht eine Ukraine als schwacher Staat, der anfällig für russische Einflüsse ist." Die Russen würden dann zu ihren Forderungen vom Dezember 2021 zurückkehren – oder sagen: „Damals gab es einen Rabatt, jetzt ist es der normale Preis – zahlt."

Deutschen oder Franzosen, die sich nicht um Polens Schicksal sorgen, entgegnet Szeligowski: „Die Integration der Wirtschaften unserer Region mit der alten EU ist so groß, dass wenn es hier wackelt, werden sie es auch spüren – es ist eine Frage des Dominoeffekts." Zwar könnten sie mit billigem Gas und geringeren Rüstungsausgaben argumentieren. „Und zum ganzen Unglück ist es ein bisschen so", gibt der Analyst zu. Daher sei es die Aufgabe jeder polnischen Regierung, den Westen davon zu überzeugen, „dass die Kosten eines solchen Szenarios für sie größer sein würden als die Gewinne".

RZECZPOSPOLITA: Ukrainischer Ex-Geheimdienstoffizier verteidigt Nord-Stream-Sabotage

Die konservativ-liberale Rzeczpospolita berichtet über die Stellungnahme von Roman Czerwiński, einem ehemaligen Offizier des ukrainischen Militärgeheimdienstes, den amerikanische Medien als Koordinator der Nord-Stream-Sabotage bezeichnet haben. Der Fall habe durch die Verhaftung des ukrainischen Verdächtigen Wołodymyr Ż. in Polen neue Brisanz gewonnen. Für Schlagzeilen hatten zudem auch Berichte gesorgt, laut denen Außenminister Radosław Sikorski vor der Festnahme des Ukrainers in Gesprächen erklärt habe, er sei bereit, dem Mann Asyl zu gewähren und ihn mit einem Orden auszuzeichnen.

Roman Czerwiński, so das Blatt, habe sich im Interview mit Radio Swoboda erstmals öffentlich zur Nord-Stream-Affäre geäußert. Er bestätige, die Verdächtigen persönlich zu kennen, habe aber keine eindeutige Antwort auf die Frage nach seiner eigenen Beteiligung gegeben. Stattdessen habe er scharfe Kritik an den deutschen Behörden geübt: Die deutschen Ermittlungsbehörden würden „ihre Befugnisse überschreiten und objektive Umstände nicht berücksichtigen", so Czerwiński.

Seine zentrale Argumentation: „Diese Pipeline war eine der Hauptfinanzierungsquellen des Krieges in der Ukraine. Wenn Ukrainer dies getan haben, dann waren sie legitime Ziele für die Ukraine. Und wenn es Militärs getan haben, dann haben ordentliche Gerichte keine solchen Befugnisse. Deutsche Gerichte sind auch nicht in der Lage, dieses Ereignis objektiv zu bewerten."

Seine schärfste Anschuldigung: „Deutsche Ermittlungsbehörden handeln nicht korrekt. Sie handeln im Interesse Russlands. Sie geben persönliche Daten von Menschen preis, die mit bestimmten Handlungen zu tun gehabt haben könnten, was in der Folge eine Gefahr für ihr Leben darstellen kann. Wir wissen, dass Russland ein terroristischer Staat ist."

Czerwiński habe zudem enthüllt, dass deutsche Stellen versucht hätten, mit ihm Kontakt aufzunehmen und bei einem Schuldeingeständnis „maximal zwei Jahre Gefängnis" angeboten hätten. „Ich sagte, das ist ein absurder Vorschlag. Denn es gibt kein Verbrechen und keine Schuld der Ukrainer daran", so der Ex-Offizier. Die ukrainischen Behörden hätten von Anfang an bestritten, hinter der Sabotage zu stecken.

Rzeczpospolita erinnert daran, dass Czerwiński „eine der geheimnisvollsten und zugleich kontroversesten Gestalten der modernen Ukraine" sei. Als „Washington Post" über die Ostsee-Operation berichtete, habe sich der Ex-Offizier bereits in ukrainischer Untersuchungshaft befunden, angeklagt wegen Amtsmissbrauchs bei einer gescheiterten Operation im Juli 2022. Sein Name werde auch mit der sogenannten „Wagnergate-Affäre" von 2020 verbunden – einer ukrainischen Geheimdienstoperation, die Wagner-Söldner nach Belarus locken sollte, aber nach einem mutmaßlichen Informationsleck aus dem Präsidentenbüro scheiterte, so Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau


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