Deutsche Redaktion

“Das Problem war der Bau von Nord Stream, nicht seine Sprengung”

08.10.2025 13:45
Donald Tusk bezieht in der Debatte um die Festnahme des ukrainischen Tauchers eine klare Position: Das Problem sei nicht die Sprengung von Nord Stream 2, sondern dessen Bau gewesen. Außerdem: Wie der Kreml angesichts schrumpfender Öl- und Gaseinnahmen die russische Provinz ausplündert. Und: Ein polnischer Regisseur erklärt, was ihn an Chopin fasziniert hat. Mehr dazu in der Presseschau.
Wołodymyr Z. przesłuchany w polskim śledztwie dotyczącym uszkodzeń rurociągów
Wołodymyr Z. przesłuchany w polskim śledztwie dotyczącym uszkodzeń rurociągówWOJTEK RADWANSKI/AFP/East News

RZECZPOSPOLITA: „Das Problem war der Bau von Nord Stream 2"

Donald Tusk hat sich erstmals ausführlich zur Festnahme des ukrainischen Staatsbürgers Wołodymyr Z. geäußert, dem die deutsche Staatsanwaltschaft die Beteiligung an der Sprengung der Gaspipelines Nord Stream und Nord Stream 2 vorwirft. Der polnische Ministerpräsident machte dabei unmissverständlich klar, wo aus seiner Sicht die Verantwortung liege, berichtet die konservativ-liberale Rzeczpospolita.
„Aus unserer Sicht sind die einzigen Personen, die sich schämen und in der Frage Nord Stream 2 schweigen sollten, jene, die über dessen Bau entschieden haben", betonte Tusk auf einer Pressekonferenz mit der litauischen Premierministerin. Das eigentliche Problem Europas, der Ukraine, Litauens und Polens sei nicht die Sprengung der Pipeline gewesen, sondern deren Errichtung. „Russland baute Nord Stream 2 gegen die vitalsten Interessen ganz Europas. Daran darf es keine Zweideutigkeit geben."


Der Regierungschef hob hervor, dass er seine Position zu dieser Angelegenheit bereits vor Monaten sowohl dem damaligen Bundeskanzler als auch Präsident Selenskyj dargelegt habe. Tusk unterstrich, dass jede polnische Regierung – unabhängig von ihrer politischen Couleur – den Bau von Nord Stream 2 von Anfang an bekämpft habe. „Wer in Polen andeutet, es habe Regierungen gegeben, die für den Bau von Nord Stream 2 waren, lügt und schadet dem Ansehen Polens sehr."

Zur Festnahme selbst erklärte Tusk, diese sei aufgrund der rechtlichen Verfahren erfolgt, über das weitere Vorgehen entscheide jedoch das polnische Gericht. „Im Interesse Polens und im Sinne eines normalen Anstands und der Gerechtigkeit liegt es sicherlich nicht, diesen Staatsbürger anzuklagen oder ihn an einen anderen Staat auszuliefern", stellte der Premierminister klar.

GAZETA WYBORCZA: Putin plündert die russische Provinz aus

Wacław Radziwinowicz analysiert in seinem Beitrag für die linksliberale Gazeta Wyborcza die dramatische Finanzlage der russischen Regionen. Dem Kreml, der angesichts um 20 Prozent geschrumpfter Öl- und Gaseinnahmen verzweifelt nach neuen Finanzquellen suche, bliebe nichts anderes übrig, als „seinen Untertanen in die Taschen zu greifen".

Die Regierung, so der Autor, habe der Polizei etwa einen verschärften Plan für Bußgeldeinnahmen auferlegt – in den nächsten drei Jahren solle sie fast eine Billion Rubel eintreiben. Besonders im Visier stünden Lkw-Fahrer über 12 Tonnen Nutzlast, die leicht bei Überladungen erwischt werden könnten – eine in Russland weit verbreitete Praxis. Auch Feuerwehrleute sollten ihren Beitrag leisten, indem sie Unternehmer wegen Verstößen gegen Brandschutzvorschriften stärker zur Kasse bäten.


Ein „solider Schlag auf die Geldbörse" für die Bürger werde zudem die Anhebung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte ab dem 1. Januar sein, analysiert der Autor. Die Regierung begründe dies offen mit dem Kriegsbedarf. Wie die Wirtschaftsjournalistin Tatiana Rybakowa errechnet habe, koste allein die Mehrwertsteuererhöhung jede durchschnittliche Familie 45.000 Rubel pro Jahr. Dazu kämen 6.000 Rubel mehr für kommunale Dienstleistungen. „Eine durchschnittliche Familie muss dem Krieg im nächsten Jahr aus eigenen Einkünften 51.000 Rubel opfern – zwei Drittel des offiziellen russischen Medianlohns", rechnet Radziwinowicz vor.

Besonders dramatisch sei die Situation in den Regionen. 65 von 89 Föderationssubjekten hätten von Januar bis September bereits mehr ausgegeben, als ihre Jahreseinnahmen betragen sollten. Während Moskau mit 80 Prozent des gemeinsamen Haushaltsüberschusses aller profitablen Regionen „in Saus und Braus" lebe und neue Metro-Stationen, Straßen und Schulen im Sturmtempo baue, verschlechtere sich die Lage in der Provinz dramatisch.
„Russische Soziologen weisen auf ein für sie überraschendes Phänomen hin", schreibt der Autor. In der normalerweise sehr loyalen Provinz gebe es heute eine sehr große und wachsende Zahl derer, die Friedensverhandlungen mit der Ukraine der Fortsetzung des Krieges vorziehen würden – rund 70 Prozent. In Moskau hingegen stehe etwa die Hälfte der Einwohner fest hinter Putins Krieg. „Denn denen geht es gut." Die Geschichte habe die Kreml-Führung gelehrt, dass nur die Hauptstädte der Macht wirklich Probleme bereiten könnten, die Provinz zähle nicht – „also kann man sie rupfen".

GAZETA WYBORCZA: „Nach dem Saufgelage schlief Chopin fünf Tage"

In einem ausführlichen Interview für die Gazeta Wyborcza spricht Filmregisseur und Produzent Michał Kwieciński über seinen neuen Film „Chopin, Chopin!" und erklärt, was ihn an dem Komponisten fasziniert hat.

„Ich wurde mir bewusst, dass ich nichts über ihn weiß, obwohl ich das als gebildeter, weltgewandter Pole eigentlich sollte", gesteht Kwieciński im Gespräch mit Maja Staniszewska. Der Regisseur habe sich ein halbes Jahr lang durch sämtliche Biografien und Briefe von und über Chopin gelesen – eine „wunderbare Reise", bei der er Dinge erfahren habe, die er nie erwartet hätte.

„Dass er Stalkerinnen hatte, und zwar zahlreiche. Dass er ein Tratscher war", zählt der Filmemacher auf. Seine Schülerin Friederike Müller habe jede Unterrichtsstunde auf 20 bis 30 Seiten beschrieben – nicht nur die Blumen in der Vase und seine Hände, sondern auch, was er über andere erzählte. George Sand, „die ein Komplott geschmiedet hatte, um ihn zu erobern", habe er als „Sammlerin von Genies" bezeichnet. Sie sei eine seltsame Mischung aus äußerst talentierter Schriftstellerin, wunderbarer Gastgeberin und einer Frau gewesen, die Genies total ergeben gewesen sei.

Chopin habe Probleme gehabt, sich zu verlieben, so der Regisseur. Er habe von der Liebe extreme Empfindungen erwartet, ständige Schmetterlinge im Bauch. „Aber ich glaube, er hat das nie erlebt. Seine Emotionen flossen in die Musik, und dort ist die Leidenschaft, dort ist die Liebe." Der Komponist sei außerordentlich einsam gewesen – „außer der Krankheit gab es in seinem Leben nur die Musik". Und es sei dieser musikalische Kosmos, den er der Welt gegeben habe. Ansonsten sei er sehr auf sich fokussiert gewesen.


Was Kwieciński besonders überrascht hat: Chopin sei trotz seiner emotionalen Verschlossenheit „unglaublich lebendig" gewesen. Er sei schnell gelaufen, habe gezappelt, geliebt, andere nachzuahmen und herumzualbern. Selbst in der Krankheit sei er an besseren Tagen ein Vulkan der Energie gewesen. „Nach Hause kam er oft erst um 10 Uhr morgens." An schlechteren Tagen habe er seine Gesundheit vortäuschen müssen, da er seine Schüler nicht verlieren konnte, von denen er hauptsächlich lebte. „Einmal war er nach einem Saufgelage so erschöpft, dass er fünf Tage schlief, und sogar die Zeitungen schrieben, er sei gestorben."

Der Regisseur habe im Film auch zeigen wollen, wie sehr sich Chopin beim Komponieren gequält habe. „Das war nicht Mozart, dem die Noten praktisch als fertige Werke auf die Partitur flossen und der kaum noch Streichungen vornahm. Chopin hat ausschließlich gestrichen. Er war Perfektionist", erklärt Kwieciński. In den Manuskripten seiner Kompositionen sehe man, dass er eine schöpferische Qual durchlebt habe. Chopin habe nur 28 Stunden Musik hinterlassen, wahrscheinlich aber über 100 komponiert. „In seiner Musik war er seiner Epoche voraus. Sie hat etwas kosmisch Universelles in sich. Deshalb lieben wir sie so sehr."

Für den Film sei Schauspieler Eryk Kulm entscheidend gewesen, der nicht nur Chopin ähnlich sehe, sondern auch selbst Klavier spiele. „Ohne Eryk Kulm hätte ich diesen Film nicht gemacht", betont Kwieciński. Er habe keinesfalls – wie in Filmen üblich – in Szenen am Klavier die Hände eines Doubles zeigen wollen.

Autor: Adam de Nisau

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