Deutsche Redaktion

Wahlkampf im Schatten des Volksentscheids

14.08.2023 10:23
Unterstützen Sie die Beseitigung der Barriere an der Grenze zwischen Polen und Belarus? So lautet die vierte Frage des geplanten Referendums. Außerdem sollen die Wähler auf drei weitere Fragen antworten. Die erste betrifft die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die zweite die Anhebung des Renteneintrittsalters, die dritte die EU-Asylpolitik.
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RZECZPOSPOLITA: Wahlkampf im Schatten des Volksentscheids 

Die Fragen für den von der Regierungspartei PiS parallel zu der Parlamentswahl geplanten Volksentscheid werden in der polnischen Presse breit kommentiert. Die Frage nach dem „Verkauf staatlicher Unternehmen“ spiegele die Entwicklungsdilemmas der frühen 1990er Jahre wider, schreibt in seinem Kommentar Chefredakteur der Tageszeitung Rzeczpospolita Bogusław Chrabota. Kaum jemand habe damals Zweifel an der Notwendigkeit gehabt, unrentable staatliche Unternehmen, die uns der Kommunismus hinterlassen hatte, zu verkaufen. Dieser Prozess sei nicht ohne Pathologien verlaufen, doch dank der Privatisierung des Staatssektors habe Polen mit dem Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft begonnen. Drei Jahrzehnte polnischen Wachstums seien der beste Beweis dafür. Die PiS-Anführer würden aber anders denken und handeln, da sie auf Staatseigentum setzen würden.

Die Frage nach dem Rentenalter sei eine Frage des polnischen Arbeitsmarktes. Angesichts der katastrophalen demografischen Entwicklung komme es zu einem zunehmenden Mangel an Arbeitskräften. Die Senkung des Renteneintrittsalters verstärke diesen Prozess nur und nehme insgesamt die Chancen auf einen schnellen wirtschaftlichen Aufschwung. Es müsse klar gesagt werden: Durch die Beibehaltung eines niedrigen Rentenalters, wie die Regierenden es wollten, seien die Polen zu niedrigen Renten verdammt.

Bei der dritten Frage werde er den Stil weglassen, der ihren Inhalt negativ stigmatisiert („illegale Einwanderer“, „Zwangsmechanismus“, „von der EU-Bürokratie aufgezwungen“). Viel wichtiger ist der Kern der Frage. Möchte Polen sich gemeinsam mit anderen an der Lösung von Problemen beteiligen, mit denen die Europäische Union konfrontiert sei, oder werde Polen einen anderen Weg einschlagen? Es bestehe für den Publizisten kein Zweifel, dass Letzteres das Land zur politischen Marginalisierung verurteilen würde.

Die vierte beziehe sich auf die Barriere an der Grenze zu Weißrussland.

Das Referendum werde voraussichtlich von einer staatlich finanzierten Kampagne begleitet, die darauf abzielt, die Wähler von den Argumenten der Regierung zu überzeugen. Die PiS-Spitzen gehen außerdem davon aus, dass sich diese Maßnahmen direkt auf das Wahlergebnis auswirken und ihnen den Machterhalt sichern werde. Deshalb würden sie die Wahl in eine Volksabstimmung zur Unterstützung ihrer Macht verwandeln, urteilt in seinem Kommentar Chefredakteur der Tageszeitung Rzeczpospolita Bogusław Chrabota. 

SUPER EXPRESS: Wer will das Renteneintrittsalter anheben? 

In der Tageszeitung Super Express äußert sich der ehemalige Präsident Bronisław Komorowski zu einer der vier Referendumsfragen. Wie PiS-Politiker bereits verraten haben, wird sich die erste Frage des Referendums um den „Verkauf von Staatseigentum“ drehen und die zweite Frage, ob die Polen das Rentenalter anheben wollen. Bei der Ankündigung der zweiten Frage zeigte die Regierungspartei eine Archivaussage von Bronisław Komorowski, der damals sagte, dass es keine Notwendigkeit gäbe, das Rentenalter anzuheben. Später habe die PO-PSL-Regierung doch noch beschlossen, das Renteneintrittsalter anzuheben.

Wie der ehemalige Präsident in einem Interview mit Super Express sagt, werde in anderen Ländern das Rentenalter aufgrund der geringen Zahl von Bürgern im erwerbsfähigen Alter angehoben. Laut Komorowski wäre es fairer zu fragen: „Sind Sie für eine Anhebung des Rentenalters oder die Zahlung eines höheren Rentenbeitrags?“ Der Ex-Präsident fügt noch hinzu, dass in Deutschland das Rentenalter auf 67 Jahre angehoben worden sei und, wie er meinte, niemand protestiert habe, lesen wir in Super Express. 

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Kirche und Politik 

Die Kanzel sei nicht dazu da, Politik zu machen, sagt in einem Gespräch mit dem Blatt Dziennik/Gazeta Prawna der Metropolit von Łódź, Kardinal Grzegorz Ryś. Nach seiner Ansicht habe die Kirche nur dann das Recht, über politische Fragen zu sprechen, wenn es um deren moralischen Aspekt gehe. Ein Beispiel für eine solche Aussage war die Position des Erzbischofs von Canterbury, der die Entscheidung der britischen Regierung gegenüber Migranten offen kritisierte. Er habe diese Handlungen für unmoralisch gehalten. Dabei habe es sich nicht um die Praxis der Politik, sondern um die moralische Bewertung politischen Handelns gehandelt, erklärt Ryś.

Kardinal Ryś weise auch auf die dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium hin, wo festgestellt werde, dass die Kirche ein Zeichen und ein Instrument der inneren Vereinigung mit Gott und der Einheit der gesamten Menschheit sei. Wenn also ein Wahlkampf im Gange sei, müsse man sich an diese Selbstdefinition unbedingt erinnern. Die Kirche sei nicht dazu da, Spaltungen zu schaffen oder bereits bestehende Spaltungen zu verschärfen. Die Kirche diene dem Aufbau der Einheit. Gleichzeitig unterstreicht Kardinal Ryś, dass ein politischer Streit etwas Natürliches sei. Man könne und solle über wichtige Dinge streiten. Es gehe vielmehr um die Art und Weise, wie man miteinander streitet, um die Kultur dieses Streits und um die Sprache, sagt der Metropolit von Łódź, Kardinal Grzegorz Ryś.

 

Jakub Kukla