Deutsche Redaktion

"Wer zähmt die Wagner-Gruppe?"

25.08.2023 13:35
Die Meldung über den Absturz des Wagner-Flugzeugs erreichte die Redaktionen am Mittwoch nach Redaktionsschluss, so dass gestern in den Zeitungen noch wenig über die Katastrophe zu lesen war. Heute ist der mutmaßliche Tod von Prigoschin das Top-Thema in der Presse. Welches Signal sendet der Kreml mit dem mutmaßlichen Abschuss der Wagner-Maschine nach Minsk? Reicht der Tod von Prigoschin, um das vom Putsch erschütterte Putin-Regime zu stabilisieren? Und: Bleibt Putin nur die Eskalation? Mehr dazu in der Presseschau.
Szczątki samolotu Prigożina w rejonie Tweru w Rosji.
Szczątki samolotu Prigożina w rejonie Tweru w Rosji.PAP/EPA/ANATOLY MALTSEV

Rzeczpospolita: Wer zähmt die Wagner-Gruppe?

Westliche Spitzenpolitiker nennen fast einstimmig Präsident Putin als den Verantwortlichen für den Tod von Jewgienij Prigoschin. In Schweigen gehüllt habe sich dafür Aleksander Lukaschenko, der noch Anfang Juli in einem Gespräch mit russischen Journalisten versichert habe, dass der Chef der Wagner-Gruppe sicher sei und dass Putin nicht vorhabe, ihn zu töten, schreibt auf ihrer Titelseite die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Gehe es nach Paweł Łatuszka, einem der Anführer der belarussischen Exilregierung, lesen wir, sei Prigoschins Tod auch ein Signal des Kremls an den belarussischen Diktator. "Moskau zeigt Łukaszenko, was passieren könnte, wenn er sich entscheidet, es zu verraten", so der Politiker gegenüber "Rzeczpospolita". 

Auch das Schicksal der Söldner in Belarus, fährt das Blatt fort, bleibe ungewiss. Der belarussische Dienst von Radio Svoboda habe am Donnerstag berichtet, dass 100 von 273 Militärzelten in Asipowitschi (wo sich eine temporäre Basis der Wagner-Gruppe befinde) abgebaut wurden. In Rostow am Don in Russland seien jedoch alle uniformierten Dienste, aus Furcht vor einem erneuten Putsch, in Alarmbereitschaft versetzt worden. In der Umgebung der Stadt hätten die Wagner-Truppen immer noch ihre Lager. Der wichtigste Kampf werde jedoch um Prigoschins afrikanische Verträge und seine dortigen Söldner stattfinden. Um die Kontrolle über sie zu übernehmen, werde der Kreml wahrscheinlich den GRU-Spezialisten für schmutzige Arbeit, General Andriej Awierianow, entsenden, schreibt Rzeczpospolita.

Gazeta Wyborcza: Putin behält sein Gesicht 

Dass Prigoschin eliminiert werden würde, war unvermeidlich, schreibt im Aufmacher der linksliberalen Gazeta Wyborcza der Publizist Bartosz Wieliński. Es, so der Autor, sei klar gewesen, dass Putin, der bei der Nachricht von einem Marsch der Wagner-Truppen aus Moskau geflohen sei, diesen Aufruhr nicht unbeantwortet lassen würde. Um sein Gesicht zu wahren, habe er Prigoschin auf spektakuläre und unzweideutige Weise töten müssen. Nach inoffiziellen Informationen sei das Flugzeug von der Flugabwehr abgeschossen worden. Nun stelle sich jedoch die Frage, ob Prigoschins Tod ausreichen werde, um das durch den Putsch ernsthaft erschütterte Putin-Regime wieder zu stabilisieren. An Bord des abgeschossenen Flugzeugs, erinnert Wieliński, hätten sich sechs hochrangige Mitglieder der Wagner-Gruppe befunden. Niedrigere Kommandeure seien jedoch noch am Leben; Wagner-Söldner seien in verschiedenen Teilen Afrikas, Syriens und der Ukraine stationiert. In Russland habe die Gruppe ihre Infrastruktur ausgebaut, und das Land sei voll von ihren aktuellen und ehemaligen Kämpfern. Das russische Verteidigungsministerium versuche seit Wochen, Prigoschins Vermögen zu übernehmen. Die Wagner-Truppen hätten mehrere ihrer Kommandanten beschuldigt, sich der Regierung angeschlossen und Söldner für die Einheiten des russischen Militärunternehmens Redut angeworben zu haben. Redut solle auch Prigoschins Operationen in Afrika übernehmen. Werde es Putin gelingen, die Kontrolle über die Wagner-Gruppe zu übernehmen oder sie zu dezimieren?, fragt Wieliński. Der mit den Wagner-Truppen verbundene Telegram-Kanal "Grey Zone" schreibe, dass hinter Prigoschins Tod "Verräter Russlands" stehen. "Die Leute, die den Befehl gegeben haben, verstehen die Stimmung in der Armee und ihre Moral überhaupt nicht", heißt es in der Mitteilung. Werden die Söldner inmitten dieser Säuberungen versuchen, ihren Anführer zu rächen? Der Kreml habe lange über Prigoschins Tod geschwiegen. Schließlich habe Putin am Abend den Tod des Anführers der Wagner-Gruppe bestätigt und der Familie sein Beileid ausgesprochen.

Rzeczpospolita: Ein Problem durch ein größeres ersetzen

Die meisten Wagner-Söldner werden wahrscheinlich nach Hause gehen oder sich dem Verteidigungsministerium beugen, meint der Publizist der Rzeczpospolita Andrzej Łomanowski. Aber, so der Autor, es werde immer noch eine ausreichend große Gruppe von Verzweifelten geben, um Russland eine eigene OAS (Organisation der Geheimen Armee) zu fundieren. Nach dem Rückzug Frankreichs aus dem kolonialen Krieg in Algerien im Jahr 1960, erinnert der Publizist, hätten sich frustrierte französische Soldaten um General Raoul Salan vereinigt und in ihrem eigenen Land eine Terroranschlag-Kampagne gegen General Charles de Gaulle gestartet. Natürlich, lesen wir, sollte man de Gaulle in keiner Weise mit Putin vergleichen - alles unterscheide sie, angefangen bei ihrer Größe. Aber der Mechanismus des Handelns verzweifelter und bewaffneter Menschen könnte ähnlich sein. Der Kreml scheine dies langsam zu begreifen. Niemand habe bisher offiziell bestritten, dass Prigoschins Flugzeug mit einer Flugabwehrrakete abgeschossen wurde - eine Version, die Putins Stolz schmeichele. Sie beweise ihm selbst, dass er ein "harter Kerl" ist, mit dem man sich nicht anlegen sollte. Eine andere Theorie tauche jedoch immer häufiger auf: eine Bombe (oder sogar zwei) an Bord des Flugzeugs. In ein oder zwei Tagen werde der Kreml verkünden, dass der Anschlag von ... Ukrainern verübt wurde. Das Ziel: den Verdacht vom Präsidenten ablenken, der wahrscheinlich von der internationalen Empörung, die durch den Abschuss des Flugzeugs und die öffentliche Ermordung von zehn Menschen verursacht wurde, überrascht wurde. Vor allem aber sollte diese Version die Tausenden von Wagner-Mitgliedern beruhigen und ihnen einen gemeinsamen Feind in Kiew zeigen, so Andrzej Łomanowski in der Rzeczpospolita. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Putin bleibt nur die Eskalation

Vor dem Hintergrund zahlreicher Fehlschläge, wie etwa der langsam aber dennoch stetig voranschreitenden ukrainischen Offensive, die bald zusätzlich durch F-16-Flugzeuge gestärkt werden könnte, oder der missglückten Mondlandung, bleibe Putin nur die weitere Eskalation und Einschüchterung, urteilt in Dziennik/Gazeta Prawna Zbigniew Parafianowicz. Der tote Prigoschin und der verhaftete Surowikin, der jeden dieser Tage möglicherweise tot in seiner Zelle in Lefortowo gefunden werde, so der Autor, sollen den Anschein von Stärke erzeugen. Sie seien Teil der Vorstellung, dass der Präsident noch gewinnen kann. In Wirklichkeit seien sie jedoch ein Zeichen seiner Schwäche und der Krise seines Machtapparats. Seine Umgebung war nicht auf den Geschäftsmann mit krimineller Vergangenheit, Jewgenij Prigoschin vorbereitet. Es werde jedoch solche geben, auf die sie vorbereitet sind, so Parafianowicz. 

Autor: Adam de Nisau