Gazeta Wyborcza: Die Gemeinschaft ist eine große Kraft
Rafał Trzaskowski gelingt eine emotionale Mobilisierung seiner Anhänger – die zweite Runde der Präsidentschaftswahl steht unter dem Zeichen eines neuen Aufbruchs, berichtet in ihrem Aufmacher die linksliberale Gazeta Wyborcza.
Bartosz T. Wieliński schildert aus persönlicher Perspektive die Atmosphäre auf dem Warschauer Plac Konstytucji, wo Trzaskowski mit einer mitreißenden Rede eine breite demokratische Gemeinschaft beschworen habe. Der Oberbürgermeister von Warschau habe unter Applaus erklärt, für Polens Zukunft sei „der Himmel die einzige Grenze“. In seiner wohl stärksten Rede habe er betont, dass unter der weiß-roten Flagge Platz für alle sei – ob jung oder alt, aus Stadt oder Land, konservativ oder progressiv, unabhängig von Religion oder sexueller Orientierung.
Zuvor hatten ihn führende Politiker der demokratischen Koalition auf der Bühne unterstützt, darunter Donald Tusk, Władysław Kosiniak-Kamysz, Szymon Hołownia und Włodzimierz Czarzasty. Auch Rumäniens künftiger Präsident Nicusor Dan habe zur Mobilisierung aufgerufen, mit dem Hinweis, dass auch er trotz ungünstiger Umfragen einen Populisten besiegt habe, lesen wir im Blatt.
Trzaskowski ma duże szanse na zwycięstwo, jeśli zdoła zmobilizować wyborców Koalicji 15 Października, którzy w pierwszej turze nie poszli do urn. #Wyborcza #wybory #analiza #głosowanie #Trzaskowski #Nawrocki wyborcza.pl/7,75968,3196...
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— Gazeta Wyborcza (@wyborcza.pl) 25. Mai 2025 um 14:37
Der Sonntag sei Höhepunkt einer erfolgreichen Woche für Trzaskowski gewesen: Er habe das TV-Duell gegen seinen PiS-Kontrahenten Karol Nawrocki klar für sich entschieden. Während Trzaskowski kompetent gewirkt habe, habe sich Nawrocki durch das sichtbare Einführen eines Beutels mit unbekannter Substanz blamiert – laut eigener Aussage Nikotin. Auch beim Gespräch mit dem Konfederacja-Kandidaten Mentzen habe Trzaskowski Stärke gezeigt, während Nawrocki wenige Tage zuvor in der Rolle eines unterwürfigen Bittstellers aufgetreten sei.
Dem demokratischen Marsch habe ein deutlich schwächer besuchter Gegenzug gegenübergestanden, angeführt von Nawrocki. Dort sei es weniger um Gemeinschaft, sondern mehr um Revanche und Machtrückgewinn um jeden Preis gegangen, so der Autor. Der Kontrast zwischen beiden Polen sei unübersehbar gewesen.
„Auf dem Plac Konstytucji stand heute das gute Polen, dem der Wind in die Segel weht und dem die Sonne zulächelt. Am Sonntag muss es nur noch ins Ziel kommen“, schreibt Bartosz T. Wieliński in der Gazeta Wyborcza.
Niezalezna.pl: Wenn es nicht läuft, läuft´s nicht
Die nationalkonservativen Blätter vermitteln erwartungsgemäß einen ganz anderen Eindruck der Lage vor der Stichwahl. Trzaskowskis knapper Sieg in der ersten Runde habe eher die Stärke Nawrockis als seine eigene dokumentiert, meint der Chefredakteur der Gazeta Polska Codziennie Tomasz Sakiewicz in einem aktuellen Kommentar, der auf der niezalezna.pl erschienen ist. Entscheidend sei nun, ob die rechten Wähler mobilisiert werden. Sollte die Wahlbeteiligung in diesen Kreisen hoch ausfallen, habe Nawrocki realistische Chancen auf den Sieg. Trzaskowski hingegen müsse seine eigene Wählerschaft vollständig mobilisieren und zugleich Teile des rechten Spektrums für sich gewinnen oder dessen Teilnahme an der Wahl verhindern, so der Autor.
Besonders sensibel reagiere das Mentzen- und Braun-Lager auf das Thema Migration. Hier habe ein Skandal Trzaskowski geschadet: Laut Recherchen von Telewizja Republika sei über ein vom Warschauer Rathaus zur Verfügung gestelltes Lokal ein Schleuserring organisiert worden, finanziert von Stellen unter Kontrolle der Regierung Tusk. Das sei, so Sakiewicz, nicht weniger als eine Katastrophe für den Kandidaten der liberalen Koalition.
Ein weiterer Rückschlag: Trzaskowski habe darauf gezählt, dass die Anhänger von Grzegorz Braun die Wahlen boykottieren. Und in dieser Situation erklärt Außenminister Sikorski, dass Braun im Falle eines Wahlsiegs Trzaskowskis verhaftet werde. „Bei manchen will es einfach nicht laufen“, schließt Tomasz Sakiewicz.
Rafał Trzaskowski gelingt es nicht, die Dynamik vor der Stichwahl zu seinen Gunsten zu wenden – Karol Nawrocki verfügt über das festere gesellschaftliche Lager, urteilt der Chefredaktor der nationalkonservativen Gazeta Polska Codziennie.
Dziennik/Gazeta Prawna: Das Spiel um alles dauert bis zum Ende
Im Endspurt des Wahlkampfs hat Rafał Trzaskowski strategisch entscheidende Vorteile erzielt – das Rennen bleibt dennoch offen, analysiert indes die Politologin Barbara Brodzińska-Mirowska im Gespräch mit dem Wirtschaftsblatt Dziennik Gazeta Prawna.
Besonders das TV-Duell mit Karol Nawrocki sowie das Gespräch mit dem Konfederacja-Politiker Sławomir Mentzen, so die Expertin, hätten Trzaskowski in den letzten Tagen sichtbar gestärkt. Er habe sich inhaltlich vorbereitet gezeigt, seine Wahlkampflinie klar durchgezogen und dabei drei Ziele verfolgt: die Mobilisierung bisher passiver KO-Wähler, das Erreichen unentschlossener Bürger sowie die Demobilisierung potenzieller Nawrocki-Unterstützer. Dadurch könne er aus Sicht vieler Wähler wieder als führender Kandidat erscheinen, so die Einschätzung der Professorin von der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń.
Nawrocki habe hingegen zwar keine entscheidenden Verluste hinnehmen müssen, aber auch kaum neue Dynamik gewonnen. Zwar könne er weiterhin mit Unterstützung aus dem Lager der Konfederacja rechnen, doch Trzaskowskis Strategie habe darin bestanden, diese Wählerschaft nicht zu überzeugen, sondern sie vom Urnengang abzuhalten. Das habe den PiS-Kandidaten aus der Angriffsposition gedrängt, sodass er erneut wie ein Herausforderer wirke.
Das viel diskutierte Bier-Treffen zwischen Trzaskowski, Mentzen und Radosław Sikorski habe ebenfalls Wirkung entfaltet. Es habe Trzaskowskis Dialogfähigkeit unterstrichen, ohne seine Glaubwürdigkeit zu beschädigen, und mit Sikorskis Anwesenheit auch ein außenpolitisches Signal gesendet. Dieser könne gemäßigte, konservative Wähler ansprechen, so die Politologin.
Die Entscheidung falle in den letzten Tagen, warnt Brodzińska-Mirowska. Viele Wähler entschieden sich spontan, oft aus einer einzigen Emotion heraus. „Der Wahlkampf ist so eng, dass zwei Prozentpunkte Unterschied im Bereich des statistischen Fehlers liegen. Die Kugel bleibt bis zum Schluss im Spiel“, so Barbara Brodzińska-Mirowska in der Dziennik Gazeta Prawna.
Rzeczpospolita: Polnische Wahlen, deutsche Emotionen
Die polnischen Wahlen sorgen für Unruhe in Deutschland – das emotionale Engagement deutscher Politiker und Medien sei überdurchschnittlich hoch, beobachtet der Politikwissenschaftler und Philosoph Marek Cichocki in der konservativ-liberalen Rzeczpospolita.
Zahlreiche Kommentare aus Berlin, so der Autor, ließen den Schluss zu, dass es für Deutschland bei den Präsidentschaftswahlen in Polen um „alles“ gehe. Zwar bleibe unklar, was dieses „alles“ konkret bedeuten solle, doch das hohe Maß an Emotionen habe laut Cichocki zwei Hauptursachen. Zum einen speise es sich aus dem eigenen Erfahrungshorizont deutscher Politik: dem Zerfall der etablierten Parteienlandschaft, den jüngsten Bundestagswahlen, dem Gefühl einer belagerten Festung sowie der Ohnmacht gegenüber dem Aufstieg der AfD. Seit der Ära Merkel betrachteten sich die Deutschen gern als letzten Schutzwall des liberalen Westens. In diesem Kontext würden die Wahlergebnisse in Polen entweder als Bestätigung pessimistischer Trends oder als Hoffnung auf deren Umkehr erwartet.
Zum anderen, so Cichocki, sei es für viele in Deutschland bis heute schwierig, Polen als eigenständiges politisches Subjekt anzuerkennen. Veränderungen in Polen würden deshalb fast ausschließlich anhand deutscher Vorstellungen davon gemessen, wie Europa – und insbesondere dessen östlicher Teil – zu funktionieren habe. Möglicherweise verberge sich gerade in diesem Anspruch auch das ominöse „alles“, das auf dem Spiel stehe, so der Autor.
Vor diesem Hintergrund hätten die deutsch-polnischen Beziehungen seit 1989 nie einen wirklich normalen, partnerschaftlichen Charakter gehabt. Sie gründeten nicht auf der Einsicht, dass Polen als dynamischer Nachbar ein unverzichtbarer Partner sei, mit dem auch in schwierigen Fragen Einvernehmen gesucht werden müsse. Vielmehr hingen sie stets davon ab, inwieweit Warschau die in Berlin definierten Prioritäten und Ziele teile. Abweichende Positionen seien aus deutscher Perspektive regelmäßig als europafeindlich, nationalistisch und – vor allem – antideutsch interpretiert worden, schreibt Marek Cichocki in der Rzeczpospolita.
Autor: Adam de Nisau