Deutsche Redaktion

Regierungsumbau: "Konfrontativer Wiederaufbau" vs. "Nun muss regiert werden"

24.07.2025 10:29
Mit der Umbildung sucht Tusk die Emotionen von 2023, urteilt der Chefredakteur der Rzeczpospolita. Konservative Kommentatoren schlagen alarmistische Töne an. Linksliberale Medien betonen: Ein Umbau reicht nicht, es muss endlich auch was getan werden. Die aktuelle Meinungslage zum Regierungsumbau in der Presseschau.
Warschau, 23.07.2025. Premierminister Donald Tusk (C) whrend einer Pressekonferenz in der Kanzlei des Premierministers (KPRM) in Warschau, 23.07.2025. Der Regierungschef prsentierte Einzelheiten der Umgestaltung seines Kabinetts. (mr) PAPLeszek Szymański
Warschau, 23.07.2025. Premierminister Donald Tusk (C) während einer Pressekonferenz in der Kanzlei des Premierministers (KPRM) in Warschau, 23.07.2025. Der Regierungschef präsentierte Einzelheiten der Umgestaltung seines Kabinetts. (mr) PAP/Leszek SzymańskiPAP/Leszek Szymański

Rzeczpospolita: Donald Tusk sucht nach den Emotionen von 2023

“Wie kehrt man zu dem größten Kapital der heutigen Koalition zurück – zu den Emotionen vom 15. Oktober 2023?“, fragt der Chefredakteur der konservativ-liberalen Rzeczpospolita Michał Szułdrzyński in seiner Analyse zur gestrigen Regierungsumbildung von Premier Donald Tusk.

Tusk, so der Autor, habe mit der Rekonstruktion seines Kabinetts nicht nur Ressorts neu zugeschnitten, sondern vor allem zwei Botschaften senden wollen. Die erste richte sich an das eigene Lager: Das Erdbeben nach der Niederlage gegen den PiS-Kandidaten bei der Präsidentenwahl mache deutlich, wie sehr Koalitionsdisziplin und Mobilisierung der Stamm­wählerschaft bis zu den Parlamentswahlen 2027 nötig seien. „Man muss sich zusammenreißen und nach vorne schreiten – Schluss mit dem Gejammer!“, habe Tusk die Partner ermahnt.

Um verlorene Begeisterung zurückzugewinnen, habe der Premier bewusst Persönlichkeiten berufen, die der PiS ein Dorn im Auge seien – etwa den verfolgten Richter Waldemar Żurek oder den früheren Innenminister Marcin Kierwiński, unter dessen Ägide die Polizei einst bis in den Präsidentenpalast vordrang. Auch weil der angekündigte Nachweis massiver Wahlfälschungen ausgeblieben sei, könne nur eine harte Abrechnung mit den Vorgängern die Kernwähler bei der Stange halten, gibt Szułdrzyński die Überlegung wieder.

Die zweite Botschaft solle PiS und Konfederacja den Boden für ihre Erzählung vom Kontrollverlust entziehen. Tusk fasse seine Agenda demonstrativ in die Worte „Ordnung, Sicherheit, Zukunft“. Dafür übernehme Marcin Kierwiński erneut das Innenressort, Tomasz Siemoniak koordiniere die Geheimdienste, und Radosław Sikorski fungiere als „Hammer gegen russische Diplomatie und Desinformation“ – zugleich loyal gegenüber Kiew, aber durchsetzungsfähig bei polnischen Interessen.

Sicherheit und Zukunft verknüpfe Tusk mit zwei neuen Ministerien: Energie einerseits, Finanzen und Wirtschaft andererseits. Den neuen Minister für Staatsvermögen Wojciech Balczun habe er verpflichtet, nicht um Profit, sondern das nationale Interesse zu maximieren – ein „i-Tüpfelchen der Re-Polonisierung“, so Szułdrzyński.

Zum Finale habe Tusk mit der Zeile der Nationalhymne „Noch ist Polen nicht verloren, solange wir noch leben“ Pathos bemüht. „Ein wenig übertrieben“, konstatiert Szułdrzyński, „doch eben ein Signal an enttäuschte Wähler – und ein Griff nach den Emotionen von 2023.“

Niezalezna.pl: Konfrontativer Wiederaufbau. "Der eine wird unterdrücken, der andere wird das legalisieren. Der dritte wird für Provokationen zuständig sein”

Auch die rechte Seite der öffentlichen Debatte sieht in der Kabinettsumbildung eine Kampfansage. Und zeigt sich darüber wenig erfreut. Premier Donald Tusk rüste sein Kabinett „für eine volle Konfrontation mit Opposition und Straße“, schreibt Kommentator Krzysztof Karnkowski auf der nationalkonservativen Nachrichtenseite Niezalezna.pl. 

Unter Regierungsskeptikern, so Karnkowski, habe die jüngste Umbildung zwei Lager hervorgebracht: Die einen klagten, es ändere sich faktisch nichts, die anderen fürchteten, Tusk bereite sogar einen gewaltsamen Konflikt mit Teilen der Gesellschaft vor. Er habe schlechte Nachrichten, so Karnkowski: beide Gruppen dürften wohl zugleich Recht behalten.

Für Durchschnittsbürger, lesen wir, werde sich kaum etwas verbessern – weder im Gesundheitswesen noch bei Energieprojekten oder der Kriminalitätsbekämpfung. Stattdessen drohe eine „immer stärkere Abhängigkeit von Deutschland und der EU“.

Symbol des Konfrontationskurses sei das „Tandem“ aus Innenminister Marcin Kierwiński und dem designierten Justizminister Waldemar Żurek: Kierwiński stehe für harte Polizeieinsätze gegen Gewerkschafter und Landwirte, Żurek für politisch motivierte Verfahren; Radosław Sikorski solle als dritter im Bunde die rhetorischen Provokationen übernehmen.

Ob kleinere Koalitionspartner diesen Kurs mittragen, bleibe offen. Am 6. August, dem Tag der geplanten Amtseinführung von Präsident Karol Nawrocki, könne sich zeigen, ob die Behörden Proteste duldeten.

Die Rekonstruktion sei letztlich ein „kriegstaugliches“ Kabinett für einen innenpolitischen Konflikt: „Einer werde die Proteste niederknüppeln, der Zweite die Maßnahmen rechtlich absichern, der Dritte die verbalen Attacken liefern“, so Marcin Karnkowski in der niezalezna.pl.

Gazeta Wyborcza: Die Rekonstruktion ist da, nun muss regiert werden

Linksliberale Medien indes rufen die Regierung auf, sich nach der Umbildung bloß nicht auf den Lorbeeren auszuruhen. Ein Umbau des Kabinetts reiche nicht aus, um Polen vor einem Rückfall in Nationalismus und Populismus zu bewahren, betont Vize-Chefredakteur Roman Imielski in seinem Kommentar für die linksliberale Gazeta Wyborcza.

Wie Imielski erinnert, stehe die Regierungskoalition vom 15. Oktober unter massivem Druck: PiS halte sich stabil in den Umfragen, während Konfederacja und das vom „Antisemiten und Fremdenfeind“ Grzegorz Braun geführte Bündnis zusammen bereits über 20 Prozent erreichten; kämen heute Wahlen, könne ein solches Lager – mit Karol Nawrocki als Präsidenten – eine ungarische, also antieuropäische und antidemokratische ­Wende einleiten. Das allein zeige, wie ernst die Lage sei.

Szef MSZ Radosław Sikorski awansował na wicepremiera, żeby rząd stał się bardziej popularny. Sikorski ma dobrą passę, jest bardzo chwalony. #Wyborcza #rekonstrukcja #Sikorski #Tusk wyborcza.pl/magazyn/7,12...

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— Gazeta Wyborcza (@wyborcza.pl) July 23, 2025 at 5:31 PM

Die Koalition dürfe daher nicht länger Ausreden suchen, sondern müsse eine permanente gesetzgeberische Offensive starten. Frauenrechte etwa dürften nicht vertagt werden, vielmehr solle der Sejm Gesetzesprojekte so zügig beschließen, dass der Präsident jedes Veto öffentlich erklären müsse, so der Autor.

Gleichzeitig müsse die Regierung klare Prioritäten setzen: ­Einkommen und Renten, Zugang und Qualität des Gesundheits­­wesens, sinkende Energiekosten, Abbau bürokratischer Hindernisse für Unternehmen, eine durchdachte Migrationspolitik zur Linderung des Arbeitskräftemangels sowie vor allem eine Wohnungs­­offensive für junge Menschen, da fehlende Perspektiven auf eine eigene Wohnung meist das Gründen einer Familie verzögerten, so Imielski weiter.

Ebenso entscheidend sei eine verständliche Kommunikation und der Verzicht auf interne Streitereien, die den Eindruck erweckten, die Koalition beschäftige sich vor allem mit sich selbst. Paradoxerweise könne das derzeit schlechte Stimmungsbild – laut CBOS unterstützten nur 32 Prozent das abtretende Kabinett, 48 Prozent lehnten es ab – zur Chance werden: „Die Messlatte hängt so tief, dass nur noch der Sprung nach oben bleibt“, resümiert Roman Imielski in der Gazeta Wyborcza.

Autor: Adam de Nisau



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