Deutsche Redaktion

Nord Stream: "Warschau darf sich nicht von Berlin an der Leine führen lassen"

13.10.2025 08:00
Wenn die zweite Hälfte der Legislaturperiode von Premierminister Tusk so gut laufe wie die erste, werde der 15. Oktober bestenfalls als Symbol einer verspielten historischen Chance und eines verschwendeten Vertrauenskapitals in die Geschichte eingehen, schreibt Kataryna in Plus Minus. Außerdem: Was die russische Spur bei den Nord-Stream-Ermittlungen plausibel macht und wie Polen sich verhalten sollte. Und: Hat Russland tatsächlich das Potential, die NATO anzugreifen? Mehr dazu in der Presseschau.
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У Германіі вяртаецца тэма газаправоду.Фота: FrameStockFootages/shutterstock

PLUS MINUS: Donald Tusk hat nichts repariert – Änderungen in 24 Stunden rückgängig zu machen

Die konservativ-liberale Wochenzeitung Plus Minus übt in einem Kommentar von Kataryna scharfe Kritik an der bisherigen Amtsführung von Ministerpräsident Donald Tusk. Wenn die zweite Hälfte der Legislaturperiode so gut laufe wie die erste, werde der 15. Oktober bestenfalls als Symbol einer verspielten historischen Chance und eines verschwendeten Vertrauenskapitals in die Geschichte eingehen, schreibt die Autorin.

Sie erinnert daran, dass nach den historischen Wahlen vom 4. Juni 1989 vier Jahre Regierung der post-solidarischen Parteien ausgereicht hätten, damit die Kommunisten – wenn auch unter veränderter Flagge – zurückkehrten. Donald Tusk, so die Autorin, habe in den letzten zwei Jahren nichts reparieren können. Die Änderungen, die er eingeführt habe, hielten sich „an einem Faden" und könnten binnen 24 Stunden rückgängig gemacht werden. Die in einen fiktiven Liquidationszustand versetzten öffentlich-rechtlichen Medien würden mit Gewalt und Rechtstricks zurückerobert werden können, denn Ex-Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz habe gezeigt, wie das gehe, und Ex-Justizminister Adam Bodnar habe es rechtlich abgesegnet. Zur Rückgewinnung der öffentlichen Medien brauche PiS-Chef Kaczyński lediglich zu wiederholen, was Tusk getan habe.

 

Auch bei der Justiz, so Sadło weiter, könne der Nachfolger von Minister Żurek am ersten Tag alle Gerichtspräsidenten abberufen – Minister Żurek habe gerade gezeigt, dass man zwar die Meinung der Gerichtskollegien einholen, sich aber nicht daran halten müsse. Nach der Besetzung der Gerichtspräsidien mit den treuesten Anhängern könne derjenige, der nach Żurek komme, über sie die Zusammensetzung der Richtergremien in für ihn interessanten Fällen manuell steuern, da der derzeitige Minister gerade eine Verordnung erlassen habe, die die Pflicht zur Auslosung der Zusammensetzungen aufhebe. Die Autorin warnt: „Wenn die PiS dieses Werkzeug erst einmal in der Hand hat, wird sie es mit Begeisterung nutzen." Sie wisse nicht, wohin Tusk wolle und ob er in diese Richtung gehe. Sie wisse nicht, ob er das selbst wisse. „Aber wenn er auf dem Weg Lichter im Tunnel sieht, dann handelt es sich dabei in Wirklichkeit um eine Lokomotive", schließt Kataryna ihren Kommentar für Plus Minus.

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Nord Stream und die polnische Frage – Warschau darf sich nicht von Berlin an der Leine führen lassen

Das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna widmet sich in einem ausführlichen Beitrag von Witold Sokała der Nord-Stream-Affäre und der Verhaftung des in Pruszków lebenden Ukrainers Wołodymyr Ż. Nur zwei Aspekte seien unbestritten, schreibt der Autor: Erstens sei es aus polnischer Sicht gut, dass Nord Stream nicht funktioniere – und so solle es bleiben. Zweitens sei die Beschädigung der Gaspipeline im September 2022 das Ergebnis einer gezielten Geheimdienstoperation gewesen. Alle anderen Aspekte stünden weiterhin unter einem Fragezeichen – die deutschen Ermittlungen hätten bisher nicht viel aufgeklärt.

Sokała diskutiert drei Haupttheorien über die Täterschaft: die amerikanische Spur (die der Journalist Seymour Hersh präsentiert habe, aber ohne Beweise), die ukrainische Hypothese (die für den Kreml „noch attraktiver" sei) und die russische Spur. Letztere Version sei „mindestens genauso wahrscheinlich wie die mit den Ukrainern in der Hauptrolle", argumentiert der Autor. Im September 2022 habe Nord Stream aus ukrainischer Sicht keine fundamentale Bedrohung mehr dargestellt – das Gas sei bereits nicht mehr nach Deutschland geflossen und die Gelder nicht mehr nach Moskau. Die Russen hingegen hätten Nord Stream 1 unter dem Vorwand eines technischen Defekts abgeschaltet, in Wirklichkeit aber darauf spekuliert, Deutschland und andere Gazprom-Kunden von einer zu starken Unterstützung der Ukraine abzubringen.

In diesem Kontext gewinne die Version vom russischen Selbstsabotage an Plausibilität, so Sokała. Die Zerstörungen seien zwar erheblich, aber reparierbar gewesen. Dafür sei an die westlichen Europäer ein starkes politisches Signal gegangen: das Ende der Chancen auf billiges Gas aus Russland. Wenn es nebenbei gelungen wäre, den Ukrainern das Gesicht von „Terroristen" zu verpassen, die den Interessen ihrer Wohltäter schadeten, und auf diese Weise die Unterstützung für ihren Kampf in den EU-Ländern zu schwächen, hätte der Kreml „Desinformations-Gold" gehabt. Wenn Moskau damals erkannt habe, dass die in den Bau investierten Millionen ohnehin wahrscheinlich verloren seien, könne der Versuch, einen Teil davon in Form von Entschädigungen zurückzubekommen, verlockend gewesen sein. Zudem hätten die Russen durch die Explosion vermieden, selbst Entschädigungen für die Einstellung der Lieferungen durch Nord Stream 1 zahlen zu müssen, da Gazprom damit Verträge mit westlichen Abnehmern verletzt habe. Eines der geschädigten Unternehmen habe die Angelegenheit bereits vor Gericht gebracht.

Zur Durchführung einer solchen Aktion seien technische Möglichkeiten nötig – qualifizierte Spezialisten, Ausrüstung, geeignete Sprengstoffe. Sicher sei, dass die Russen über diese verfügten, die Ukrainer nicht unbedingt. Letztere hätten wohl auf Ressourcen kommerzieller Akteure oder transnationaler Verbrecherorganisationen zurückgreifen müssen, doch neuralgische Sektoren würden aufmerksam von den Geheimdiensten vieler Staaten überwacht. Die Chancen auf völlige Diskretion wären gering gewesen. Zudem sei etwa fünf Tage vor der Explosion im kritischen Gebiet eine erhöhte Aktivität der russischen Marine verzeichnet worden, darunter ein U-Boot, erinnert der Autor.

Besonders kritisch äußert sich Sokała zur Haltung der deutschen Ermittler und zur aktuellen Position der polnischen Regierung. Nachdem Berlin sich ein zweites Mal an Warschau gewandt habe, sei Wołodymyr Ż. diesmal niemand zur Warnung gekommen. Ministerpräsident Donald Tusk habe zwar betont, dass „das Problem nicht darin besteht, dass die Gaspipeline gesprengt wurde, sondern dass sie gegen die vitalen Interessen Europas gebaut wurde" und dass „es nicht im Interesse Polens und im Interesse des Anstandsgefühls liegt, diesen Mann in die Hände eines fremden Staates auszuliefern". Gleichzeitig habe der Premier jedoch eingeschränkt, dass „in dieser Angelegenheit das Gericht sprechen wird".

„Entweder hat Berlin Instrumente gefunden, um Partner in Warschau zu disziplinieren, oder es sind intern neue Umstände des Falles aufgetaucht, die dazu geführt haben, dass die Entschlossenheit, den Teilnehmer der Reise zu schützen, nachgelassen hat", analysiert der Autor. In beiden Fällen müssten sowohl Warschau als auch Kiew auf den Schutz von Wołodymyr Ż. verzichten. Die Alternative sei ein Eigentor – nämlich sich dem Vorwurf des Vasallentums gegenüber Berlin und in der radikalen Version gegenüber Moskau auszusetzen. Die polnische Regierung dürfe die Verantwortung nicht auf das Gericht und europäische Verfahren abwälzen, sondern müsse aktiv an der Aufklärung der Affäre arbeiten, fordert Sokała. Der Europäische Haftbefehl sei kein Instrument, das eine automatische Vollstreckung erfordere – es gebe Präzedenzfälle, in denen EU-Staaten einschließlich Deutschlands die Übergabe von auf dieser Grundlage gesuchten Personen verweigert hätten. Die Erklärung „das sind nicht wir, das sind die Richter" reiche nicht aus, so Witold Sokała in Dziennik/Gazeta Prawna. 

DO RZECZY: Medien schüren Kriegsangst – Experte: Russland ist dazu nicht in der Lage

Das konservative Magazin Do Rzeczy beschäftigt sich mit der medialen Berichterstattung über eine angeblich unmittelbar bevorstehende russische Aggression gegen Polen und die NATO. Wie das Blatt berichtet, habe der Journalist Grzegorz Jankowski in Polsat News den Geopolitik-Analysten Krzysztof Wojczal zu den „hysterischen medialen Narrativen" befragt. „Ich wache heute Morgen auf und stoße wieder auf einen Text: ‚Russland hat die letzte Phase der Vorbereitungen für einen Angriff auf die NATO begonnen'. In verschiedenen Medien, großen und kleinen, polnischen und ausländischen, lese ich das seit drei Jahren. Wie oft können sie die letzte Phase der Vorbereitungen für einen Angriff auf die NATO beginnen?", habe Jankowski gefragt.

 

Wojczal habe daran erinnert, dass Moskau natürlich drohe und weiter drohen werde, aber derzeit nicht über die notwendigen Kräfte verfüge, um parallel einen Konflikt mit der Ukraine und Kriege mit dem gesamten NATO-Bündnis zu führen. „Strategisch gesehen ist es eine Tatsache, dass die Russische Föderation nicht in der Lage ist, einen zweiten Krieg ähnlich dem in der Ukraine zu führen, ganz zu schweigen von einem bewaffneten Konflikt gegen die gesamte NATO, die auch in Bezug auf konventionelle Waffen stärker ist als Russland", wird der Experte zitiert. Russland sei zu Provokationen und hybriden Maßnahmen fähig, was weiterhin zu erwarten sei. Wenn die Russen jedoch ernsthaft über einen Angriff auf Polen nachdenken wollten, müssten sie strategisch günstige Bedingungen haben – das bedeute, die Ukraine zu kontrollieren und ihre Flanken zu sichern, was heute außerhalb ihrer Reichweite liege.

Im Kontext der medialen Warnungen vor einem dritten Weltkrieg habe Wojczal betont, dass die russische Armee fast vollständig entweder in Kämpfe in der Ukraine verwickelt oder mit der Versorgung des dortigen Kontingents beschäftigt sei. „Ihre Kriegsmaschinerie ist nicht in der Lage, einen zweiten solchen Konflikt zu bewältigen", habe er betont. Die medialen Botschaften über die Bedrohung durch Russland erfüllten in dem Sinne eine positive Funktion, dass sie die Gesellschaft mobilisierten, damit Polen sich so weit vorbereite, dass der Kreml keine strategisch günstigen Bedingungen für einen eventuellen Angriff auf Polen erreichen könne, zitiert Do Rzeczy Krzysztof Wojczal.

Autor: Adam de Nisau



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