RZECZPOSPOLITA: „Existenzielle Bedrohung für ein vereintes Europa"
Jędrzej Bielecki von der konservativ-liberalen Rzeczpospolita erinnert an die Warnung des ehemaligen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski, der bereits vor einem Vierteljahrhundert vor einer Situation gewarnt habe, in der Polen zwischen „Vater oder Mutter" – also zwischen Europa und Amerika – wählen müsse. Diese Warnung werde nun möglicherweise zur Realität.
Die US-Strategie stelle die Sache klar, so der Autor: Donald Trump sehe in der Europäischen Union nicht nur einen Feind, sondern wolle auch, dass in den wichtigsten Ländern der Gemeinschaft Gruppierungen der extremen Rechten an die Macht kommen – „oft mit bis in die NS-Zeit zurückreichenden Wurzeln". Das Dokument selbst spreche von „Herausforderungen" durch die EU, die „politische Freiheit und Souveränität untergrabe", sowie von einer Migrationspolitik, die „den Kontinent transformiere".
Bielecki betont die historische Ironie: Von Spanien über Griechenland bis Polen habe die europäische Integration vor allem bei der Festigung von Demokratie und Freiheit in Ländern Erfolg gehabt, die sich gerade von Diktaturen befreit hätten. Auch Polens beispielloser Aufstieg innerhalb einer Generation sei der Integration zu verdanken. „Die europäische Integration entspricht der polnischen Staatsräson", unterstreicht der Publizist.
Das Dokument sei letztlich eine Erklärung der amerikanischen Niederlage. Die nach dem Kalten Krieg entstandene Ordnung, in der die USA als einzige Supermacht für den Weltfrieden verantwortlich gewesen seien, werde nicht nur als vergangen, sondern als grundsätzlicher Fehler betrachtet. An ihre Stelle solle ein „flexibler Realismus" treten – eine Ordnung, in der Amerika eigene Einflusszonen definiere und die anderer Mächte anerkenne. Washington erkläre sogar, autoritäre oder totalitäre Regierungen in Ländern wie Russland oder China nicht untergraben zu wollen, „da dies deren Geschichte entspreche".
Polen habe Glück gehabt, dass der Fall des Kommunismus in die Amtszeit eines Mannes gefallen sei, der aus ganz anderem Holz geschnitzt war - Ronald Reagan. Andernfalls wäre das Land vermutlich als dem Moskauer Einflussbereich zugehörig betrachtet worden. Nun müsse sich die Ukraine Sorgen machen – nicht nur wegen des angekündigten Endes der NATO-Erweiterung, sondern auch wegen der grundsätzlichen Warnung vor „negativen Einflüssen internationaler Organisationen". Die europäischen Angelegenheiten seien auf den dritten Platz der strategischen Prioritäten abgerutscht. „Venezuela ist für Trump wichtiger als die Ukraine", zitiert der Autor den Politologen Iwan Krastew.
RZECZPOSPOLITA: „Das Tabu ist gebrochen"
Die Nationale Sicherheitsstrategie verleihe dem, was bisher abschätzig als „Trumpismus" bezeichnet worden sei, den Rang einer Staatsdoktrin, schreibt in seiner Analyse für die Rzeczpospolita der Philosoph und Politikwissenschaftler Marek Cichocki. Entgegen beruhigender Stimmen, man solle dem Dokument keine zu große Bedeutung beimessen, da der Präsident in drei Jahren durch jemand völlig anderen ersetzt werden könne, bringe das Dokument aufrichtig zum Ausdruck, was in Amerika schon lange gereift sei.
Die bisherigen Formeln der transatlantischen Welt, die aus den Erfahrungen des Kalten Krieges abgeleiteten Strategien sowie die Überzeugungen des siegreichen Liberalismus über die Natur der globalen Welt – all dies sei nun Geschichte, so der Autor. Die neue Strategie präsentiere eine völlig veränderte Hierarchie der politischen Ziele Washingtons: Statt einer universellen, liberalen Weltordnung ein amerikanischer „Zivilisationsstaat", der seine imperialen Vorteile nutze. Statt des traditionellen transatlantischen Bündnisses eine „geschäftsmäßige Struktur transaktionaler Sicherheit". Statt der Ideologie liberaler Globalisierung und Demokratieförderung eine „Ideologie konservativer, zivilisatorischer Konterrevolution".
All diese Veränderungen hätten sich zwar schon seit einiger Zeit „wie eine Walze" vorangedrängt, doch erst jetzt sei durch die neue US-Strategie das Tabu endgültig gebrochen worden. „Nichts wird mehr so sein wie früher", konstatiert Cichocki.
Die Reaktionen in Europa auf diese Entwicklung würden wohl im „Ton der üblichen Hysterie" verbleiben. Neben den gewohnten Klagen und Beschimpfungen werde sich jedoch auch das abheben, was als „historischer Moment deutscher Führung in Europa" gewertet werde. In Berlin sei bereits zu hören, dass „Deutschland zur führenden Kraft eines neuen globalen Westens werden" solle. Angesichts der brutalen Sprache der amerikanischen Strategie gegenüber Europa werde eine solche Vision einer zentralen Position Deutschlands in Paris viele neue Anhänger gewinnen.
Diese Vision habe jedoch eine grundlegende Schwäche – wie alle anderen Pläne, den amerikanischen Westen durch das gegenwärtige Europa zu ersetzen: den Mangel an realer Macht. „Magisches Denken der europäischen Eliten ist die Überzeugung, dass das, was sie sagen oder erklären, sofort zur harten Realität wird. Doch ohne Macht haben all diese Erklärungen heute keinerlei Wert", so Cichocki in der Rzeczpospolita.
GAZETA WYBORCZA: „Amerika lässt sich von Europa scheiden"
Bartosz Wieliński von der linksliberalen Gazeta Wyborcza macht in seiner Analyse auf die enthusiastischen Kommentare aus Moskau auf die neue amerikanische Sicherheitsstrategie und ihre Echos aufmerksam. Und verweist auf einen bezeichnenden Dialog: „Die Europäische Union muss aufgelöst werden", habe der Milliardär Elon Musk auf seiner Plattform X geschrieben. „Genau so", habe ihm Dmitri Medwedew, ehemaliger russischer Präsident und stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrats der Russischen Föderation, geantwortet.
Dieser amerikanisch-russische Dialog zeige, in welcher Situation sich Europa befinde, so der Autor. Es geschehe genau das, was Donald Trump und seine Gefolgsleute bereits im Wahlkampf angekündigt hätten. Amerika lasse sich gerade von Europa scheiden. Vieles deute darauf hin, dass es eine „albtraumhafte Trennung" werde. Die transatlantische Zusammenarbeit verwandle sich in einen „transatlantischen Kalten Krieg".
Wieliński betont jedoch, Europa sei nicht so schwach, wie es sich die rechten Ideologen vorstellten, die Trump die Sicherheitsstrategie geschrieben hätten. Europa verfüge über ein „gigantisches Potenzial" und könne sich verteidigen. Die Stärke der Europäer liege allerdings in der Einheit. Man dürfe nicht zulassen, dass es Putin oder Trump gelinge, diese zu brechen.
In diesem Zusammenhang verweist der Autor auf die Beteiligung polnischer Rechtskonservativer an Plänen zur Zerschlagung der EU. Jerzy Kochanowski, Chef des PiS-nahen Think-Tanks Ordo Iuris, habe sich in die Diskussion mit Musk eingeschaltet und einen „polnisch-ungarischen Plan" zur Abschaffung der EU vorgeschlagen. Dieses Dokument sei in Zusammenarbeit mit dem das Orbán-Regime unterstützenden Mathias-Corvinus-Kolleg und der Trump nahestehenden Heritage Foundation entstanden.
„In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die Worte Jarosław Kaczyńskis über das ‚Gen des Verrats'. Ich erinnere mich an Targowica", schließt Wieliński seinen Kommentar – ein Verweis auf die historische Konföderation von Targowica, die 1792 mit russischer Hilfe die polnischen Verfassungsreformen rückgängig machte und als Symbol des nationalen Verrats gilt.
Autor: Adam de Nisau