Rzeczpospolita: Die neue Welt, Polen und Gewalt
In der Rzeczpospolita sucht Politologe Marek A. Cichocki nach Antworten für die eher pazifistische Haltung der Polen in der Gegenwart. Wie er schreibt, waren die Polen im 20. Jahrhundert Opfer einer organisierten, unvorstellbaren Gewalt. Diese Erfahrungen würden in der kollektiven Erinnerung tiefe, bis heute nicht verblasste Traumata hinterlassen haben – auch in den jüngeren Generationen, die selbst nie einen Krieg erlebt haben. Sie seien zu einem integralen Bestandteil der modernen polnischen strategischen Kultur geworden. Eines ihrer größten Probleme sei heute wohl das Verhältnis zur Gewalt, heißt es.
Schon im Jahr 1923 habe Marschall Józef Piłsudski bitter festgestellt, dass die Polen eine aus staatlicher Sicht beunruhigende Neigung zeigen würden: Sie könnten hart, unnachgiebig und sogar grausam zueinander sein. Gegenüber äußeren Gegnern und Feinden würden sie jedoch oft weich, beeinflussbar und unentschlossen handeln.
Geht es nach dem Autor, sei somit Polens Problem daher nicht die Unfähigkeit, Bedrohungen richtig zu erkennen. In dieser Hinsicht seien die Polen keine „Kinder im Nebel“, wie es bei manchen heutigen europäischen Gesellschaften der Fall sei, heißt es. Vielmehr liege das Problem in der Reaktion auf Bedrohungen. Vor allem auf der Unfähigkeit, Gewalt effektiv einzusetzen. Dabei sei die Fähigkeit, einem Gegner wirksamen Schaden zuzufügen, eine grundlegende Form der Abschreckung, um Grenzen in der Außenpolitik zu setzen. Und darin, lesen wir, würden die Polen sehr schwach bleiben.
Wäre Polens Geschichte — besonders im 19. Jahrhundert — anders verlaufen, so hätten sie, Cichocki nach, gelernt, Gewalt gegen andere anzuwenden, um konkrete Ziele zu erreichen. Polen wäre wahrscheinlich wie viele andere in Europa ein Staat gewesen, der eigene imperiale und koloniale Ambitionen verfolgt hätte. Weil Polen jedoch eher Opfer von Gewalt gewesen war, habe es indes ein spezielles Verständnis dafür entwickelt, unter welchen Bedingungen man zu Macht und Gewalt greifen dürfe. Polen wollen stets überzeugt sein, dass ihr Einsatz ausschließlich im Namen höherer, moralisch gerechtfertigter Ziele erfolge, so der Autor.
Nicht selten habe jedoch Polens moralische Haltung zur Gewalt — ausgedrückt etwa im schönen Motto „für unsere und eure Freiheit“ — das Land und seine Einwohner vor eine Tragödie gestellt. Heute, lesen wir am Schluss, sei die Gewalt vollends in die internationale Politik zurückgekehrt. Krieg, Vernichtung und Ausrottung seien wieder Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. Müssen die Polen somit in einer Welt, die eher an einen Dschungel als an eine internationale Gemeinschaft erinnere, um zu überleben, lernen, Gewalt kompromisslos anzuwenden, lautet als Fazit Marek A. Cichockis Frage in der Rzeczpospolita.
Dziennik/Gazeta Prawna: Wie Deutschland sich für Nord Stream rächt
Die Zeitung (DGP) hat Einblick in Unterlagen erhalten, die im Rahmen des Auslieferungsverfahrens gegen den ukrainischen Kapitän Serhij K, an Italien übermittelt wurden. Er soll die Sprengung zweier Stränge der Nord-Stream-Pipeline angeführt haben.
Wie wir lesen, soll dieselbe Beweisgrundlage auch im Verfahren gegen den in Polen festgenommenen Taucher, Wołodymyr Ż., verwendet werden. Die Zeitung beleuchtet die Hintergründe der Ermittlungen zu dem Sabotageakt an der Ostseepipeline. Quellen der Zeitung nach, lassen sich in der gesamten Akte des ukrainischen Kapitäns keine eindeutigen Beweise für seine Schuld finden. Das italienische Gericht habe seine Entscheidung demnach trotzdem auf der Grundlage von schwachen Indizien getroffen. Auch im Fall des in Polen festgenommenen Wołodymyr Ż. sollen die Belastungsmaterialien nahezu identisch sein – und ebenfalls keine eindeutigen Hinweise auf Schuld enthalten, lesen wir.
Nach Informationen der DGP sollen die deutschen Ermittlungsbehörden trotzdem überzeugt sein, dass die ukrainische Staatsspitze von der Operation wusste – darunter Präsident Wolodymyr Selenskyj und Leiter seines Präsidialamts, Andrij Jermak. Der Deckname der Operation der ukrainischen Geheimdienste soll „Durchmesser“ gelautet haben. Die ukrainische Sabotage-Gruppe habe unter der Tarnung von Touristen gehandelt. Nach Angaben italienischer Behörden soll Serhij K. zudem auch an Sabotageeinsätzen der ukrainischen Dienste gegen die russische „Schattenflotte“ beteiligt gewesen sein, die russisches Öl über das Mittelmeer transportiert. Aus diesem Grund habe man sich intensiver für ihn interessiert, heißt es, als es der von Deutschland ausgestellte Europäische Haftbefehl allein nahegelegt hätte.
Die polnische Polizei versuchte erstmals am 6. Juli, den ukrainischen Taucher festzunehmen. Er soll jedoch gewarnt worden und anschließend in einem Auto mit diplomatischen Kennzeichen über die Grenze in die Ukraine gebracht worden sein. Im September unternahmen die Behörden einen zweiten Versuch, doch der Verdächtige habe sich nicht in seiner Wohnung aufgehalten. Polens Agentur für Innere Sicherheit (ABW) habe dort jedoch – unter Begleitung eines deutschen Verbindungsbeamten – Datenträger sichergestellt. Der dritte Versuch war schließlich erfolgreich: Wołodymyr Ż. wurde festgenommen. Sowohl ihm als auch Serhij K. drohen nun in Deutschland bis zu 15 Jahre Haft.
Nach Angaben von Gesprächspartnern der „Dziennik/Gazeta Prawna“ habe das Ausmaß der Festnahmeoperation gegen Serhij K. darüber hinaus in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen Gefahr gestanden, die der Ukrainer hätte darstellen können. Italiens Carabinieri sollen bei der Operation mindestens acht Fahrzeuge und einen Hubschrauber eingesetzt haben. Dabei befand sich der Ukrainer im Badeort Misano Adriatico nahe Rimini – im Urlaub mit seiner Frau und zwei Kindern, heißt es abschließend im Blatt.
Biznesalert: Russische Gesellschaft unterstützt Invasion in der Ukraine – will aber deren Ende
Laut einer neuen Umfrage unterstützen 78 Prozent der Russen den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Gleichzeitig würden sich 62 Prozent für Friedensverhandlungen aussprechen. „Die fortschreitende Militarisierung der Gesellschaft führt dazu, dass die Russen trotz sich verschlechternder Lebensbedingungen kaum zu Protesten bereit sind“, schreibt Anna Maria Dyner vom Polnischen Institut für internationale Angelegenheiten (PISM) für das Portal biznesalert.
Die auf Konflikt ausgerichtete russische Wirtschaft wirke sich jedoch negativ auf den zivilen Sektor aus. Hinzu kämen ukrainische Angriffe auf Raffinerien, die in Russland bereits eine Treibstoffkrise ausgelöst haben sollen.
Laut dem Allrussischen Zentrum für Meinungsforschung (VTsIOM) würden derzeit aber über 79 Prozent der Befragten Wladimir Putin weiterhin vertrauen. Von allen staatlichen Institutionen genieße laut der Umfrage das Präsidialamt das höchste Vertrauen, mit über 75 Prozent Zustimmung. Diese Untersuchungen, obwohl sie unter Bedingungen eines autoritären Staates durchgeführt wurden, würden die anhaltende Unterstützung der russischen Gesellschaft für die Politik des Kremls beweisen. Wie wir lesen, sei dies das Ergebnis intensiver und langfristiger staatlicher Propaganda, des Mangels an Zugang zu alternativen Informationsquellen sowie von Änderungen in den Lehrplänen und der „patriotischen“ Bildung, so die PISM-Analystin zu den Ergebnissen der Studie.
Die fortschreitende Militarisierung der Gesellschaft führe auch dazu, dass die Russen trotz sich verschlechternder Lebensbedingungen kaum zu Protesten bereit seien, heißt es weiter. Sie verschaffe den russischen Behörden zudem zusätzliches Mandat, nicht nur den Krieg gegen die Ukraine fortzusetzen, sondern auch die Rüstungsproduktion zu steigern und weitere feindliche Maßnahmen gegenüber NATO-Staaten zu ergreifen, fügt Dyner hinzu.
Die wirtschaftliche Lage Russlands wirke sich aber bereits auf die sich verschlechternden Lebensbedingungen der Bevölkerung aus. Die von Russland angekündigte Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte soll nur vorübergehend sein. Weitere Steuererhöhungen würden der Regierung zufolge als das kleinere Übel gelten. Eine alternative Lösung sei nämlich die Geldschöpfung. So würde der Kreml aber Geld von der Bevölkerung und der Wirtschaft abziehen, um das Wachstum der innerstaatlichen Verschuldung Russlands zu begrenzen.
Seit Beginn dieses Jahres ist auf den Weltmärkten zudem ein Rückgang der Ölpreise zu beobachten. Die russische Wirtschaft sei weiterhin stark von diesem Sektor abhängig, die Exporteinnahmen haben eine große Bedeutung für den Staatshaushalt, stellte die Expertin am Schluss fest.
Autor: Piotr Siemiński