Rzeczpospolita: Populismus gefährdet den Schengen-Raum
Nicht Grenzkontrollen, sondern die Bekämpfung des demografischen Niedergangs und des Klimawandels können Europa vor künftigen Migrationswellen schützen, schreibt Jędrzej Bielecki in der liberal-konservativen Rzeczpospolita.
In Deutschland versuche Bundeskanzler Friedrich Merz, dem spektakulären Aufstieg der rechtsextremen AfD entgegenzuwirken. Die Partei gelte in Umfragen zeitweise als stärkste politische Kraft in Deutschland. Doch auch Polen habe „seine eigene AfD“, soll Ministerpräsident Donald Tusk vor kurzem erklärt haben. Nach fast zwei Monaten mache Tusk nun Ernst mit seiner Ankündigung: Ab dem 7. Juli führt Polen Grenzkontrollen zu Deutschland und Litauen ein. Denn auch in Polen verzeichnen populistische und nationalistische Kräfte eine immer größere Unterstützung.
Geht es nach Bielecki, seien andere Gründe für das Vorgehen beider Regierungschefs kaum plausibel. Laut Frontex herrsche nämlich derzeit keine Migrationskrise in der EU – im Gegenteil: 2024 sei die Zahl der irregulären Migranten im Vergleich zum Vorjahr sogar um spektakuläre 38 Prozent zurückgegangen, lesen wir. Auch Deutschland weise derzeit nicht mehr Menschen an der Grenze zu Polen zurück als im Jahr 2024 – damals habe noch niemand von einer Wiedereinführung der Kontrollen gesprochen.
Doch weder Tusk noch Merz seien in Europa eine Ausnahme. Ganz im Gegenteil. Dem Autor nach fügen sie sich in eine traurige Normalität unserer Zeit. Von den 29 Staaten des Schengen-Raums sollen derzeit nur noch 13 auf Grenzkontrollen verzichten. Das größte Gebiet freier Reise weltweit – theoretisch offen für 450 Millionen Menschen – sterbe somit vor unseren Augen, heißt es. Eines der wichtigsten Symbole der europäischen Integration neben dem Euro verschwinde.
Rechtspopulistische und extrem rechte Parteien, heißt es weiter, hätten ihre Position in weiten Teilen Europas auf der Angst vor Migration aufgebaut – zunächst vor der großen Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten im Jahr 2015, später vor der massiven Fluchtbewegung aus der Ukraine infolge der russischen Invasion ab 2022. Das Problem bestehe also seit mindestens zehn Jahren. Doch in dieser Zeit wurden keine wirksamen Lösungen gefunden, um künftigem Migrationsdruck wirksam entgegenzuwirken.
Von Spanien bis Polen würden die meisten europäischen Länder auch einen beispiellosen demografischen Niedergang erleben. Schon bald dürfte das auch den Zusammenbruch sozialstaatlicher Modelle bedeuten – es sei denn, es gelinge eine neue politische Einigung über gezielte Migration in den Arbeitsmarkt, so Bielecki.
Aber auch für den Klimawandel wurde bislang keine wirksame Lösung gefunden, lesen wir weiter. Für viele Wähler sei der Begriff „Grüner Deal“ längst zu einem Schimpfwort geworden – so sehr, dass selbst Mainstream-Politiker sich davon distanzieren. Doch in diesem Sommer habe es auf der Iberischen Halbinsel bereits Temperaturen von bis zu 46 Grad gegeben. In Nordafrika und im Nahen Osten war es stellenweise noch heißer. Damit drohe in naher Zukunft sogar das Zich Millionen verzweifelter Menschen sich auf den Weg nach Europa machen könnten, heißt es im Blatt. Grenzkontrollen würden dann nicht mehr ausreichen, um sie aufzuhalten.
Eine wirksame Demografie- und Klimapolitik erfordere jedoch enorme Investitionen über Jahrzehnte hinweg, lesen wir am Schluss. Nur ein parteiübergreifender Konsens im Namen des übergeordneten nationalen Interesses könnte dem entgegenwirken. Doch heute zähle für viele Politiker nichts mehr als die eigene Karriere – und das möglichst in den kommenden ein bis zwei Jahren, lautet Bieleckis Fazit in der Rzeczpospolita.
Biznesalert: Im Hintergrund der Grenzaffäre
Auf dem Portal biznesalert lesen wir indes ein Kommentar zu den jüngsten Geschehnissen an der polnisch-deutschen Grenze und das im Hintergrund vielleicht wichtigere Kräfte im Spiel seien. Während sich alle auf Pressetitel rund um polnische Bürgerwehren in Zgorzelec und Słubice konzentrieren, seien die entscheidenden Weichen längst in Brüssel gestellt worden. Nun sollen sie in Warschau konkret umgesetzt werden. In der EU würde man gerade über die Verteilung gewaltiger Mittel entschieden, mit denen die Migrationslage für viele Jahre zementiert werden soll, schreibt Wiktor Świetlik.
Der grenznahen Aufregung um Migranten, die angeblich mit Hilfe der deutschen – und wohl auch der polnischen – Grenzschutzbehörden einreisen, stehen Świetlik zufolge zahlreiche weniger medial spektakuläre aber weitaus wichtigere Entwicklungen gegenüber. Wer sich also nur für runde Parolen, Politikerchöre von beiden Seiten, Kameras und Blitzlichter interessiere, werde in seinem Kommentar nichts besonderes finden. Wenn jemand aber die deutsche Politik und das, was uns bevorstehe, besser verstehen wolle, sollte weiter lesen, so der Autor.
Im Schatten der Grenzdebatte seien gerade riesige Geldmittel vergeben worden: fast 90 Millionen Euro aus dem AMIF-Programm – dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds – gehen an 26 Organisationen. Die gewählten Organisationen sollen sich nicht nur um Flüchtlinge und Migranten kümmern, sondern vor allem deren rechtliche und infrastrukturelle Betreuung sicherstellen, heißt es.
Aus dem Fonds soll unter anderem eine Armee von Juristen bezahlt werden. Unter Anleitung ihrer Brüsseler Kollegen sollen sie Selbstverwaltungen, Behörden, Organisationen und Unternehmen unter Druck setzen, sollten diese der Integrationsagenda nicht mit dem gewünschten Enthusiasmus folgen, so der Autor. Zusätzlich sollen damit stabile Einkünfte für große und effiziente NGOs entstehen, damit sie ihre Zukunft mit der Präsenz der Migranten, die Polen von Deutschland erhalten würde, verbinden. Dies sei ein bewährter Schachzug, so der Autor, der bereits bei Klimafragen oder der Unterstützung sexueller Minderheiten angewendet worden sei.
Dies sei aber nur ein Teil des Puzzles, lesen wir weiter. Weitere Mittel würden in verschiedenen europäischen Instrumenten verborgen sein. Wie etwa Lösungen, auf die Berlin dränge, damit Migranten in Polen zum Beispiel denselben Sozialhilfeanspruch erhalten wie in Deutschland, also etwa tausend Euro, heißt es. In Polen könnte man dafür immer noch mehr kaufen als in Deutschalnd. Es soll auch eine Strafe für diejenigen geben, die sich illegal zurück nach Deutschland machen würden, fährt der Autor fort. Ihnen drohe der Verlust der Sozialhilfe und anderer Leistungen, möglicherweise sogar die Abschiebung in ihr Herkunftsland.
Die europäischen Institutionen und die polnische Regierung, die all dies mit so viel Eifer umsetzen, würden sich dabei nach den erleuchteten Prinzipien der Subsidiarität, Solidarität, Horizontalität und noch einigen anderen klugen Begriffen richten. Und am besten würden sie diese auf Deutsch verstehen, urteilt Wiktor Świetlik. Und das nicht nur in dieser Angelegenheit, heißt es auf biznesalert.
Super Express: Brände in Warschau. Nur ohne Paranoia!
In den letzten Tagen kam es in Warschau und seiner Umgebung zu einer Reihe von Bränden. Nach dem Brand eines Umspannwerks an der U-Bahnstation Racławicka, bei dem 50 Feuerwehrleute im Einsatz waren, wurde die Linie M1 den ganzen Tag lang gesperrt. Am Mittwoch brannte im Warschauer Stadtviertel Praga-Południe ein Transformator, ohne jedoch Stromausfälle zu verursachen. Die Ursache war vermutlich eine interne Störung des Transformators, wie Journalisten herausgefunden haben.
Wichtig sei, nicht in Paranoia zu verfallen. Viele erinnern sich an den gewaltigen Brand im Einkaufszentrum an der Marywilska-Straße in der Hauptstadt, den russische Saboteure ausgelöst haben sollen. War das nicht vielleicht auch die Ursache der jetzigen Brände, fragt das Boulevardblatt.
Besonders bei heißen Temperaturen und erhöhtem Stromverbrauch sollte man sich jedoch von Spekulationen über die Ursache fernhalten, lesen wir. Auch der ehemalige Kommandeur der elitären GROM-Einheit, Gen. Roman Polko, zeigt sich im Gespräch mit Super Express vorsichtig, alles russischen Geheimdiensten zuzuschreiben. Andernfalls landen wir in einer Paranoia auf dem Niveau von Islamisten, die dem Westen alles anlasten, überzeugt der Experte. Man sollte die Brandursachen untersuchen, das Schutzsystem überprüfen und sehen, ob die Brandschutzvorschriften eingehalten worden seien. Ein gutes Schutzsystem verhindere sowohl Brände als auch Sabotageaktionen, betont General Roman Polko.
Autor: Piotr Siemiński