Deutsche Redaktion

„Polens Politik im Wandel: Vom Rechts-Links-Schema zum Oben-Unten-Konflikt“

29.05.2025 14:50
Sollte Trzaskowski verlieren, werde Tusk als Erster zur Verantwortung gezogen. Er könnte nämlich eine Niederlage herbeirufen, die eine Kettenreaktion auslösen und den Anfang vom Ende seiner Regierung bedeuten könnte. Wessen Präsidentschaft birgt die größere Gefahr? Und: Was treibt heute die polnische Politik an? Polens Politik im Wandel: Vom Rechts-Links-Schema zum Oben-Unten-Konflikt. Mehr dazu in der Presseschau.
Was treibt heute die polnische Politik an? Alle spren, dass sie sich radikal verndere. Um wirklich zu verstehen, was geschehe, msse man den traditionellen Rechts-Links-Gegensatz hinter sich lassen und die Welt stattdessen durch den Konflikt oben versus unten betrachten, sagt Łukasz Pawłowski, Leiter der landesweiten Meinungsforschungsgruppe Og
Was treibt heute die polnische Politik an? Alle spüren, dass sie sich radikal verändere. Um wirklich zu verstehen, was geschehe, müsse man den traditionellen Rechts-Links-Gegensatz hinter sich lassen und die Welt stattdessen durch den Konflikt „oben versus unten“ betrachten, sagt Łukasz Pawłowski, Leiter der landesweiten Meinungsforschungsgruppe OgPiotr Molecki/East News

Rzeczpospolita: Wird Donald Tusk Rafał Trzaskowski schaden oder ihm zum Wahlsieg verhelfen?

Premierminister Donald Tusk habe sich auf die wohl ungeschickteste Weise in den Wahlkampf eingeschaltet – ohne die Stärke zu nutzen, die seine Position als Anführer des siegreichen Lagers ihm verleihe, schreibt Jacek Nizinkiewicz in der liberal-konservativen Rzeczpospolita. Wird er die Wähler mobilisieren können, die die oppositionelle PiS aus der Regierung gedrängt haben – oder ungewollt die Narrative der Rechten anheizen, wonach der Staatsapparat gegen ihren Kandidaten Karol Nawrocki eingesetzt werde, lautet die Frage im Blatt.

In einem TV-Interview hat Tusk Gerüchte wiederholt, wonach Karol Nawrocki in der Vergangenheit angeblich Prostituierte für Gäste eines Hotels in Sopot organisiert haben soll. Dass der Regierungschef sich damit zur laufenden Wahl äußere, überrasche nicht – wohl aber, wie er es tue, lesen wir. Tusk habe sich bei seinen Anschuldigungen auf die Aussagen eines für Körperverletzung verurteilten MMA-Kämpfers gestützt. Bislang seien trotzdem keinerlei Beweise für diese Vorwürfe vorgelegt worden. Geht es nach dem Autor, schwäche der Premier mit seiner Aussage sogar die Wirkung der Enthüllung des Online-Blatts Onet, indem er sich auf eine zweifelhafte Quelle bezog, die im Originalartikel nicht einmal erwähnt wurde. Damit liefere er Karol Nawrocki eine mediale Rettungsleine, schreibt Nizinkiewicz.

Nawrocki seinerseits wisse: Würde er Onet im Eilverfahren für die Anschuldigungen verklagen, wäre das Thema bis zur Wahl omnipräsent. Stattdessen habe er eine Zivilklage wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung und eine Privatanklage eingereicht. Das Verfahren könnte sich jahrelang hinziehen – bis dahin könnte die Öffentlichkeit das Thema längst vergessen haben. Die Vergangenheit laste zwar auf dem Chef des Instituts für Nationales Gedenken (IPN). Doch werde sie politisch folgenlos bleiben, lautet die Frage im Blatt.

Die oppositionelle Recht und Gerechtigkeit (PiS) verteidige ihren Kandidaten durch Angriff, heißt es weiter im Blatt. Eine bekannte Strategie, die sie bereits schon bei anderen Skandalen verfolgt habe, lesen wir. Ihr Vorwurf laute: Der gesamte Staatsapparat unter Tusk arbeite gegen eine Einzelperson. Und ein Teil der Gesellschaft glaube das sogar, so das Blatt. Auch die Fokussierung der Bürgerkoalition (KO) auf einer negativen Kampagne spiele Nawrocki in die Hände, lesen wir. Schon Donald Trump habe von den Angriffen seiner Gegner während der US-Wahlkampagne profitiert: Im Lärm unzähliger Vorwürfe seien die Details untergegangen. Der Klamauk hätte die Wähler abgestumpft. Gehe Nawrocki denselben Weg – auch dank solcher Medienauftritte wie dem von Tusk, fragt der Autor.

Sollte Trzaskowski verlieren, werde Tusk als Erster zur Verantwortung gezogen, lesen wir am Schluss. Er könnte nämlich eine Niederlage herbeirufen, die eine Kettenreaktion auslösen und den Anfang vom Ende seiner Regierung bedeuten könnte. Ein solches Szenario habe der KO-Chef bereits nach dem Wahlsieg von Andrzej Duda im Jahr 2015 erlebt. Drohe nun eine Wiederholung, fragt Jacek Nizinkiewicz als Fazit in der Rzeczpospolita.

Dziennik/Gazeta Prawna: Wessen Präsidentschaft birgt die größere Gefahr?

Die Angriffe auf Karol Nawrocki zeigen Wirkung – sie reduzieren die Zahl der unentschlossenen Wähler, also genau jener, um die es jetzt im Wahlkampf gehe, schreibt indes Piotr Skwieciński in der DGP. Die Härte dieser Angriffe offenbare zugleich, worum es tatsächlich gehe: die Verteidigung der liberalen Demokratie und die komplette Übernahme des Staatssystems. Dies würde bedeuten, dass all jene, die die Sichtweise der PiS teilen, endgültig aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben verdrängt würden, lesen wir.

Laut dem Autor würden die bisherigen Vorwürfe gegen Nawrocki keinen Einfluss auf das Wahlverhalten seiner bisherigen Unterstützer haben. Dafür wären deutlichere und für diese Zielgruppe gravierendere Enthüllungen nötig, als bisher vom „Anti-Nawrocki-Lager“ präsentiert wurden, heißt es.

Skwieciński habe persönlich Nawrockis letzte Rede auf dem Warschauer Schlossplatz und auch die positiven Reaktionen der Menschen um ihn herum erlebt. Die Kampagne des PiS-Kandidaten sei ihm zufolge daher keineswegs ins Stocken geraten. Gleichzeitig habe Premierminister Donald Tusk bei seinem gestrigen Fernsehauftritt im Privatsender Polsat sichtbar nervös gewirkt – obwohl ihm bereits alle Vorwürfe gegen Nawrocki bekannt waren. Diese Nervosität, so Skwieciński, bedeute, dass Tusk nicht nur die veröffentlichten Umfragen kenne, sondern auch interne Erhebungen, wie sie große Parteien im Wahlkampf in Auftrag geben. Und diese dürften eine ungünstige Dynamik für den KO-Kandidaten Trzaskowski zeigen, lesen wir.

Eine ähnliche Nervosität mache sich auch in regierungstreuen Medien breit, heißt es weiter. Die Angst vor einem Wahlsieg der Rechten scheine dort alle bisherigen journalistischen Standards außer Kraft zu setzen. Angesichts dessen überrasche es nicht, dass es in dieser Wahl nicht darum gehe, wer der „beste“ Kandidat sei – sondern darum, wessen Präsidentschaft als größere Bedrohung wahrgenommen werde. Bisher habe nichts – so der Autor – was öffentlich geworden ist, eine ausreichend große Wählergruppe davon überzeugt, dass das größere Risiko vom PiS-Kandidaten ausgehe.

Gleichzeitig sei die Anti-Nawrocki-Kampagne keineswegs zum Scheitern verurteilt. Am Sonntag könnte der Abstand zwischen den beiden Kandidaten so gering sein, dass selbst die kleinsten Wählergruppen über den Wahlausgang entscheiden könnten. Einige potenzielle Nawrocki-Wähler könnten sich angesichts der anhaltenden Vorwürfe zur Stimmenthaltung entscheiden.

Andererseits könnte die Aggressivität der Angriffe auch einen gegenteiligen Effekt hervorrufen – nämlich Solidarität mit dem unter Beschuss stehenden Kandidaten. Heute lasse sich jedoch nicht mit Sicherheit sagen, welches Gefühl – Abkehr oder Trotz – am Ende überwiegen und den Wahlausgang entscheiden werde, so Piotr Skwieciński im Tagesblatt.


Gazeta Wyborcza: „Polens Politik im Wandel: Vom Rechts-Links-Schema zum Oben-Unten-Konflikt“

Was treibt heute die polnische Politik an? Alle spüren, dass sie sich radikal verändere. Um wirklich zu verstehen, was geschehe, müsse man den traditionellen Rechts-Links-Gegensatz hinter sich lassen und die Welt stattdessen durch den Konflikt „oben versus unten“ betrachten, sagt Łukasz Pawłowski, Leiter der landesweiten Meinungsforschungsgruppe Ogólnopolska Grupa Badawcza, im Gespräch mit GW.

Dieser Perspektivwechsel sei der Schlüssel zum Verständnis der Richtung, in die sich die polnische Politik entwickle. Das zeige sich etwa in den Wählerbewegungen zwischen den rechten Extremen um Sławomir Mentzen und den linken Radikalen um Adrian Zandberg. Es erscheine zwar absurd und unlogisch – sei es aber nicht, überzeugt Pawłowski, wenn man die Politik als Ausdruck eines vertikalen Konflikts zwischen den Eliten und dem Volk begreife. Dieses Muster sei nicht neu: In den USA habe Donald Trump es bereits für sich genutzt. Er habe klar definiert, wer zum Establishment gehöre und wer zum Volk – und sich dann auf die Seite des Volkes gestellt. In Amerika seien nicht andere Milliardäre oder Konzerne wie Amazon oder Facebook das Establishment, sondern New York, der Fernsehsender CNN, Gender- und Gleichstellungspolitik – also eine liberale Agenda, die auf Gleichheit der Geschlechter und sexuellen Orientierungen setzt, statt auf Chancengleichheit für sozialen Aufstieg, heißt es.

In Polen sehe es in vielerlei Hinsicht ähnlich aus, lesen wir weiter im Interview. Wer gehört hier zum Establishment? Warschau, Krakau, der Privatsender TVN, große Internetportale, die linke Agenda – aber auch die beiden großen Parteien PiS und KO, die seit zwei Jahrzehnten die politische Polarisierung prägen. Nach so langer Zeit an der Macht bestehen diese Parteien zunehmend nur noch aus Ministern, Vizeministern, Premierministern, Parteivorsitzenden und Mitgliedern von Aufsichtsräten, so er Analyst. In der breiten Wahrnehmung, vor allem bei jungen Wählern im Alter zwischen 18 und 39 Jahren, stehen beide Parteien für das „Oben“, nicht das „Unten“.

Zwar schaffen es in die Stichwahl weiterhin Vertreter des PiS-PO-Duopols, doch mit dem niedrigsten gemeinsamen Ergebnis in der Geschichte, lesen wir. Auch dies sei ein Symptom für den Wandel in Richtung einer neuen vertikalen Polarisierung – ein Prozess, der sich in Polen beschleunigen dürfte, da er weltweit von starken gesellschaftlichen Umbrüchen getrieben werde.

Pawłowski nach gebe es viele plausible Erklärungen für diesen globalen Wandel und seine gemeinsamen Ursachen in sehr unterschiedlichen Ländern. Die zentrale Diagnose jedoch laute: Ungleichheit. Sie brodle unter der Oberfläche. In den 1990er Jahren beruflich aufgestiegene Polen würden nun das Rentenalter erreichen. Es beginne ein natürlicher Generationenwechsel. Doch dieser folge nicht marktwirtschaftlichen, freien Prinzipien. Der Generationenwechsel in Polen verlaufe über Beziehungen, heißt es abschließend im Interview, Vetternwirtschaft und intransparente Verbindungen – ein Muster, das sich tief im gesellschaftlichen Bewusstsein der Polen verankert habe. Die daraus resultierende Wut sei eine unterschwellige Krankheit, die sich durch das ganze Land ziehe, sagt Łukasz Pawłowski im Gespräch mit dem Tagesblatt.

Autor: Piotr Siemiński

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